LETTLAND MIT K

English text
Fotografierend die Welt erkunden

Nach meiner Woche alleine bekam ich Besuch. Ich war gespannt, wie sich das anfühlen würde. K. und ich kennen uns seit sieben Jahren und schätzen uns sehr. Sie ist alles, was ich nicht bin und doch haben wir eine gemeinsame Themenbasis (Design, Fotografie, Essen, Musik, Reisen). Sie hat sich nach dem Abschluss für einen Job in einem Unternehmen mit Zukunft entschieden und hat eine Karriereleiter im Blick. Sie richtet sich in ein Leben ein, welches für mich eine Art Horrorszenario wäre. Das Horrorszenario des einen ist das Paradies des anderen. Ich war schon immer und bin auch nach sieben Jahren von ihr beeindruckt. Sie ist eine Planerin durch und durch. Vorbereitung und Planung geben ihr genauso viel Erfüllung und Freude wie das Erleben des geplanten Momentes. Mich langweilt das Planen. Mein Ziel ist es, im Moment zu sein und auf Dinge schnell und effizient zu reagieren, wenn sie eintreten. Im Moment selbst bin ich bombenmäßig. Außerdem habe ich viel Freude daran, Ziele oder eine Vision zu formulieren und anzuskizzieren, K. dagegen bevorzugt es, die Schritte dahin zu erkunden und zu planen. Gemeinsam sind wir ein ziemlich gutes Team. Auf der Reise sieht es so aus: K. hat das perfekte AirBnB in Riga organisiert, ein paar Instagramfotos mit Geotag recherchiert und sagt Dinge wie: „Wenn wir Wildpferde sehen wollen, müssten die wenn da sein, falls das Geotag tatsächlich von dort war...“ Sie hat eine Route für den Roadtrip rausgesucht, die wir gemeinsam beschlossen haben.

Fotoshooting mit K

Vor Ort, habe ich nur dann Freude am Erleben, wenn ich das Geplante vergessen kann. Ein gutes Beispiel, wie wir uns gegenseitig bereichern, war der letzte Abend. Alleine wäre keine von uns zu dem großartigen Konzert in der alten und verfallenen Jugendstilvilla gegangen. Wir hatten uns bereits damit abgefunden, dass wir keine Livemusik erwischen würden und waren auch nicht wirklich traurig, schließlich sollte es auch hier das „was wäre, wenn...“ nicht geben. Als K. eines Abends kurz vor einem unglaublich leckeren Restaurant in den Postkartenständern wühlte, zog sie eine besonders hübsche heraus. Was für mich nach verschwendeter Zeit aussah, gehört bei ihr zur Planung dazu. Sie entdeckt also diesen einen Flyer, eher eine Postkarte, die ein Konzert ankündigt, was an unserem letzten Abend in Riga stattfinden sollte. Auf dem Flyer sah man das Portrait einer jungen Frau, mit windzerzaustem Haar, der Hintergrund war unscharf. Mit geschwungener Handschrift (Handlettering) stand darauf „Alise Joste“ und eine Adresse. K. fand die Typografie besonders schön, ich das Foto. Wir hatten fast genau solche Bilder gerade erst am Strand geschossen. (Nur in Winterkleidung.) Das Papier und die Aufmachung war hochwertig und vertraut. So hätten wir das selbst auch gestaltet. Das war vier Tage, bevor das Konzert stattfand. Nach unserem Roadtrip, einem bis dahin relativ stressigen Tag, hätten wir uns auch gut ins Bett legen können. Vor allem mit dem Wissen, dass K. am nächsten Morgen um halb 7 zum Flughafen fahren würde. Die Hürden waren jedoch bereits so gering, dass mein Anstoß „wir machen das jetzt“ ein leichter war.

Für so ziemlich jede meiner blöden Ideen zu haben.

Nach einem grandiosen Abschlussmahl, liefen wir im Regen durch die dunklen Gassen von Riga. Wir gingen zwischen Polizeistationen, vereinzelten Weinbars und Cafés, Mehrfamilien- und kleineren Holzhäusern hindurch, zu dieser einen Jugendstilvilla. Nach einer kleinen Suche fanden wir die Tür, vor der ein stämmiger, aber nicht besonders beeindruckender Türsteher stand. Auf unsere Anfrage hin rief er die Chefin. Sie war jung, hübsch und hip. In Mainz würde sie nicht auffallen. Es war ausverkauft, sie ließ uns rein und wies uns zwei Stühle vor der Tür des Konzertsaals zu. Mehr war nicht drin. Jeder mit einem Bier in der Hand tauschten wir uns noch etwas aus. Zum ersten Mal waren wir die einzigen Nicht-Letten in einem ziemlich großen Saal. Alle sahen so aus wie zu Hause, nur waren sie größer (was natürlich keine Auswirkung auf den Abstand der Stuhlreihen hatte). Der Applaus war verhalten, so als wüssten sie noch nicht wirklich, ob das hier gut werden würde (oder sind die Letten vielleicht noch zurückhaltender mit ihrer Zuneigung und Begeisterung als die Deutschen?). Die Musiker waren in dezentem Schwarz gekleidet, begaben sich auf die mit antiken Lampen und Bilderrahmen ausgestattete Bühne und begannen zu spielen. Zunächst kamen da vor allem englischsprachige Lieder in wunderbarer Mehrstimmigkeit mit ein paar netten Akzenten. Es war vertraute Musik mit nur ab und an ein paar fremdartigen Sprachbildern. K. und ich genossen es sehr. Der absolute Höhepunkt kam als Zugabe. Die Sängerin setzte sich alleine mit ihrer Gitarre auf die Bühne und sang mit unglaublich zarter und klarer Stimme auf Lettisch. Wunderschön.

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Comments: 2
  • #1

    Yvonne (Wednesday, 30 November 2016 07:32)

    Habe mir die Alise angehört. Schöne Stimme und vor allem beherrscht sie ihre Gitarre. Das hört sich alles ganz lyrisch an. Witzig für mich, die ich nicht Lettisch spreche ist es, dem Klang der Sprache zu lauschen.

  • #2

    Bella (Wednesday, 30 November 2016 10:08)

    Auf jeden Fall! Das war auch eines der Dinge die mich am meisten fasziniert hat. :-)