MEIN AUSTRALISCHES FAMILIENLEBEN

English text
Der nördliche und südliche Kopf der Bucht von Sydney, Australien

Mein australisches Familienleben ist dem von zu Hause ziemlich ähnlich. Die Familie bei der ich lebe wohnt in einem guten Viertel, fünf Minuten vom Meer und zehn Minuten von den Superreichen entfernt. Arm ist hier niemand. Man legt Wert auf gutes Essen und gute Manieren und ich komme einige Male in die Situation, dass ich bestürzt erkennen muss, dass ich einerseits die Höflichkeitsparameter nicht verstehe und andererseits einige meiner Manieren auf dem zweijährigen Weg durch Asien verlegt habe.

Meine Eingliederung zurück in die Zivilisation knirscht und es gibt zahlreiche Momente, in denen ich die Welt nicht verstehe. Man weist mich in Australien auf eine Art und Weise auf meine Fehler hin, die bei mir zu Hause als höchst unhöflich gewertet werden würde. Mir bleibt nichts anderes übrig, als auszuhalten und zu versuchen zu verstehen, deswegen bin ich schließlich hier.

Meine Zurückhaltung und Unsicherheit führt bei mir dazu, mich klein zu machen und leise zu beobachten was die Anderen tun. In Australien ist das das Schlimmste, das ich tun kann. Allerdings sehe ich natürlich vor allem die Interaktion der Familie und die geben mir keinen Anhalt dazu, was man von mir erwartet. Denn obwohl ich mit der Familie wohne, erwartet man von mir nicht, mich wie zu Hause und als Teil der Familie zu fühlen (so ganz anders als in Finnland).

In Australien ist es höflich, wenn man einen Raum betritt, sich mit erhobener Stimme anzukündigen, egal ob man eine Unterhaltung unterbricht oder nicht. Eine Praxis, die mir tief zuwider ist, die ich jedoch schon bei vielen Australiern beobachtet habe. Wenn andere es tun, stößt es mir nicht immer negativ auf. Jedoch funktioniert es nur dann, wenn man nicht nur „Hallo“ sagt, sondern auch die Gesprächsführung übernimmt, so dass das unterbrochene Gespräch sofort wieder aufgenommen werden kann oder man selbst so viele Themen mit bringt, dass sich ein Neues entwickelt. In Deutschland kann man durchaus den Raum betreten und zunächst nur mit den Menschen in der unmittelbaren Nähe kommunizieren. Man kann sich durch den Raum „schleichen“, Hände schütteln und höfliche Konversation betreiben, ohne irgendjemandem auf die Füße zu treten. In Australien ist das sehr unhöflich und höchst ungewöhnlich, fast schon in sich kriminell – als würde ich Gefahr laufen, durch mein „Einschleichen“ in einen Raum, Unterhaltungen zu hören, die nicht für meine Ohren bestimmt sind.

Generell habe ich den Eindruck, dass Höflichkeit in Australien ein Mix aus minimal abgeänderten Floskeln ist, wie ich sie aus Großbritannien kenne, und dem Wunsch als höflich erkannt zu werden. Es geht dabei nicht darum, die Bedürfnisse eines anderen Menschen über die eigenen zu stellen, sondern Floskeln zu verwenden, die das Stellen der eigenen Bedürfnisse über das der anderen salonreif macht. Nichts ist wichtiger als „Thank you“ und „Please“, ständig kriegt man es um die Ohren gehauen und ständig muss man Zeit damit verschwenden es 3.000 Mal zu wiederholen, egal ob man es meint oder nicht. (Meine SMS-Kommunikationen ziehen sich dadurch ins unendliche. Mich erinnert es an das „Ciao“ der Italiener am Telefon „Ciao, ciao, ciao, ciao ciao ciao ciao cicicicicicao.“)

Das ist einer der Hauptgründe, warum ich die Gesellschaft von Kindern der von Erwachsenen vorziehe. Sie sind direkt und ehrlich in jeder Kultur. Sie stellen tiefgründige Fragen, wollen ehrliche Antworten und haben einen Bullshitradar, der gruselig ist. Mit den zwei Jungs, die ich betreue, verstehe ich mich prima. Nach den ersten lautstarken Auseinandersetzungen, in denen ich meinen Nerven aus Stahl für ihren Dienst danke, erkennen mich die Jungs als eine durchsetzungsfähige Person an. Im Vergleich zu meiner Zeit in Finnland, bei der ich das ganze ohne eine gemeinsame Sprache bewältigt habe, machen es die Sprachkenntnisse fast einfach. Ich lerne schnell, was für Regeln die Jungs als gegeben hinnehmen und welche immer wieder zur Debatte stehen.

Ich genieße meine Zeit mit ihnen mehr, als fast alles andere in Australien (der Ozean ist nur schwer zu toppen). Beim Vorlesen verbessern sie meinen Akzent, sind fasziniert davon, wie verkehrt ich manche Worte ausspreche und ich wiederum genieße es, so forsch zurecht gewiesen zu werden. Es gibt nichts Schöneres, als die Welt oder einen kleinen Teil davon, von Kindern erklärt zu bekommen. Aus dem Fernsehen kennen sie den amerikanischen Akzent zur Genüge, aber meinen komischen Mix aus europäischen Vokalrealisationen können sie nicht verorten. Das geht hier nicht nur den Kindern so, jede Konversation mit einem Australier streift früher oder später meinen Akzent. Später werde ich sogar meinen ersten Vollzeitjob in Australien bekommen, weil mein Chef meine Sprachkenntnisse und meinen drolligen, sich stetig ändernden Akzent, als charmant empfindet. Aber davon erzähle ich ein anderes Mal.

Mein Familienleben in Australien lehrt mich einiges über meine Rolle in dieser Welt. Zwar habe ich viele der Privilegien zurück, die ich auf meiner Reise vermisst habe, allerdings nicht alle. Ich kann wieder untertauchen in der Masse und wenn ich weiß, wohin ich will, wirkt es als gehörte ich hier hin. Aber tief in meinem Inneren weiß ich, dass ich nicht dazu gehöre und nie dazu gehören werde. Das ist völlig ok so. In einer Gesellschaft, in der nichts so wichtig ist wie Geld, ist jemand wie ich ein Kuriosum. Jemand der nicht nach mehr strebt, sondern nach genug. Jemand, dem es egal ist wie viel Geld er produziert, wenn er einen positiven Impuls durch sein Umfeld ziehen sieht und seine Träume erfüllen kann. Neben den Millionen und Abermillionen von Immigranten die nach Australien kommen, um sich ein besseres Leben zu erarbeiten, erscheine ich dem Durchschnittsaustralier als verrückt. (Der Durchschnittsaustralier hat noch nie seinen Kontinent verlassen. All die Australier, denen ich auf meiner Reise begegnet bin, sind die Ausnahme, nicht die Regel. Eine schmerzhafte Erkenntnis.)

 

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