ABNEIGUNG UND GEMÜTLICHKEIT

English text
Reflectionen in Glas, Sydney, Australien

Einer der Gründe, warum ich die Frequenz der Posts drastisch gedrosselt habe war, dass ich vor allem Negatives zu berichten habe. Australien ist nicht mein Ding. Mein Widerwille fühlt sich absolut an. Als würde er sich nie ändern. Er ist subjektiv gefärbt von meinen ganz persönlichen Werten, die ich hier nirgendwo reflektiert sehe und meiner Abneigung gegen den australischen Humor.

Meine Wut ist von Anfang an da. Schon der Visumsprozess und die Regeln, denen ich mich unterwerfen muss, ärgern mich. (Zu teuer – bescheuerte Restriktionen – extra hohe Steuern – unnötige medizinische Untersuchungen – unverschämte Anweisungen). In meinen Augen weisen sie auf die Arroganz und die Ignoranz hin, die mir hier fast ohne Unterlass begegnet. Ich hoffte auf eine offene und multikulturelle Gesellschaft zu treffen, die Realität ist zwar multikulturell, aber verschlossen. Jede Kultur lebt in ihrer eigenen Blase und ist geprägt von importiertem Rassismus und Idioten, die noch nie über ihren eigenen Tellerrand geblickt haben (jedoch mit dem Bewusstsein erzogen wurden, dass sie die Welt vor der Haustür sehen).

Da die Wut weiterhin in mir kocht, entscheide ich mich dagegen, sie zu beschreiben. Die 5.000 Worte, die ich dazu bereits verfasst habe, verschwinden in meinem Archiv. Unveröffentlicht. Wen das genauer interessiert, der muss mich persönlich fragen und dann das dreistündige Lamento über sich ergehen lassen. Alles auf eigene Gefahr.

In Australien bewertet man meine Abneigung als das höchste Maß der Undankbar- und der Unhöflichkeit. Schließlich gibt es hier den besten Kaffee und die schönsten Strände der Welt. (Weder das eine, noch das andere ist mehr als ein Marketingslogan.)

Das Gefühl mit dem ich jeden morgen aufwache, zur Arbeit gehe und abends wieder einschlafe, zieht mich wie ein Stein auf den Grund. (Zurück in mein Bett, wo das Aufschlagen meines Kindles mich in angenehmere Welten geleitet. Ich lese so viel wie seit meinem Studium nicht mehr und das will etwas heißen.)

Der Punkt der mich hier verankert ist mein Bett. Wenn ich von meinem Bett spreche, meine ich eigentlich Meg's Gästecouch. Sie ist knallrot und nicht eigentlich glatt oder gemütlich. Die meisten Menschen würden sie kaum als Bett hinnehmen. Für mich ist sie sicherer Hafen und großer Luxus, mein Ruhepol, meine Ladestation.

Front lawn decoration, Sydney, Australien

Natürlich habe ich inzwischen mehr Australier kennengelernt und einige von ihnen sind toll. Ich verstehe mich mit meinen Kollegen super und schätze unsere Unterhaltungen im Studio, aber selbst diese Inseln der Faszination schaffen es nicht, meine negative Grundstimmung auszumerzen.

Ich beschließe gegen dieses Gefühl aktiv anzugehen, denn das einzige Mittel gegen Vorurteile sind Details, Geschichten und persönliche Erfahrungen. (Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch, meine Abneigung wären vor allem Vorurteile, inzwischen weiß ich, in manche Kulturen passt man nicht und das ist Ok.) Ich besorge mir einen Museumspass und begebe mich auf die Spuren tausender Schulausflüge und historischer Überreste von längst verblichenen Größen. Beim Recherchieren stoße ich auf Museumsshops und stöbere in den Büchern, die sie feilbieten. Ich beginne zu lesen und schon das erste Kapitel des zufällig gewählten Buches, unterstreicht was ich anklage, setzt es in historischen Kontext und lässt mich das Buch verbissen zuschlagen. Mich nervt es, wenn alles darauf zurückzuführen ist, dass Australien eine Strafkolonie ist. Nur weil sie es war, muss sie es heute noch sein?

Will ich etwas finden, das mich langfristig fasziniert, werde ich meinen Fokus in Richtung Aboriginals lenken müssen. Aber das ist ein ganz neues Fass (und ein sehr trauriges Kapitel). Ich habe weder das Geld, noch die Zeit ohne Flugzeug an den richtigen Ort zu gelangen. (Oder das Wissen ohne Geld/mit geringem Budget dort zu überleben.)

Und dann bringt mein Kollege Peter meine größte Angst mit nonchalanter Ehrlichkeit auf den Punkt: „Deine Abneigung hat nichts mit Australien zu tun. Sie liegt in dir. Vielleicht bist du einfach genug gereist. Vielleicht ist dein Eindruckskonto voll und Australien so groß, dass es dich überfordert?“

Natürlich muss ich erstmal schlucken. Alles was er sagt geistert seit einiger Zeit in meinem Kopf herum, außer das mit der Überforderung. Das ist mir neu und klingt erschreckend logisch. Wie immer ist die Wahrheit kompliziert, vielschichtig und unmöglich zu Papier zu bringen. Aber meine Überforderung ist der Zipfel an dem ich mich festhalte. Wenn ich tatsächlich überfordert bin, dann könnte ich weiter ziehen. Dann gäbe es eine Lösung. Ein kleineres Land, würde in mir den Entdeckungsdrang neu erwecken. Ich würde Australien ad acta legen und eingestehen, dass ich dieses Land nie besucht habe, sondern ausschließlich Sydney. Und wie die meisten Großstädte in dieser Welt, bin ich kein großer Fan. Das haben Paris, London, Berlin, Kathmandu, Dehli, Tehran, Moskau, Jerewan und Sydney gemein.

 

*Falls euch die Texte gefallen, unterstützt mich auf Patreon!*

 

Write a comment

Comments: 2
  • #1

    Anna (Wednesday, 14 August 2019 21:37)

    My Love, ich herze Dich. Manchmal ist es einfach zu viel und das ist dann auch gut. Dann muss man wieder Auftanken und das nächste Abenteuer abwarten, denn sie kommen sicher! Das ganze Leben ist eines, egal wo ;-) wir lieben dich! Baci, dein Cousinchen

  • #2

    Bella (Thursday, 15 August 2019 03:11)

    Cara mia! Du hast so recht! Ich freu mich tierisch auf Weihnachten und darauf euch alle endlich wieder zu sehen und kennenzulernen (�)! Es wird ein Fest! Bacione