AUF 4.500 METERN

English text
Der Nachthimmel aus unmittelbarer Nähe, Mardi Himal Trek, Nepal

Als ich mich um 4.30 aus meinem Schlafsaal pelle höre ich keine Geräusche. Ich ziehe mich an, mache mich fertig und trete heraus aus der Hütte. Der Sternenhimmel ist klar, der Mond leuchtet hell, aber ich bin die Einzige die bereit steht. Die Anderen schlafen wohl noch. Ich habe ein bisschen Angst, dass ich, wenn ich mich nochmal hinlege, nicht den Berg hinauf kraxeln werde. Schließlich weiß ich ja jetzt, dass es verdammt anstrengend wird und so richtig fit fühle ich mich nicht. Mein Kopfschmerz ist wieder ein wenig zurück gekehrt, aber ich denke lieber nicht darüber nach. Dieses mal mache ich mich ohne Gepäck auf den Weg, das lasse ich in der Hütte. Ohne Frühstück und mit einer Flasche Wasser im Gepäck suche ich mir meinen Weg mit der Kopflampe. Es ist schwierig, den Anfang zu finden, da der Weg erst wenn es steil wird eindeutig markiert ist. Hier unten auf den Wiesen gibt es nur ein paar ausgetretene Wege, die entweder zum Pfad, oder ins Nichts führen. Bald stehe ich jedoch vor der ersten Markierung und taste mich weiter voran.

Die nahende Sonne, Mardi Himal Trek, Nepal

Was ich nicht weiß, und erst später realisieren werde ist, dass rechts und links von dem schmalen Pfad der Berg bis ins Tal hinabfällt. Einfach so, ohne Baumwuchs, ohne irgendwas. Im Dunkeln bleibt mir das verborgen, da mein Licht nur meine Füße beleuchtet und sicherstellt, dass ich nicht neben den Pfad trete. Ich habe ein mulmiges Gefühl, führe das jedoch auf die frühe Stunde und die Dunkelheit zurück. Bald klettere ich mehr, als dass ich gehe. Hier sind die Treppenstufen unregelmäßig und lose Steine liegen aufeinander. Sie sind ineinander verkeilt und somit relativ stabil, aber das ein oder andere Wackeln macht mich doch nervös. Ich konzentriere mich ausschließlich auf das was vor mir liegt. Somit schaffe ich es wohlbehalten oben anzukommen. In dieser Situation stellt sich die Dunkelheit als mein Freund heraus. Hätte ich gesehen, wo ich hoch geklettert bin, wäre ich weit weniger gelassen gewesen. Ich bahne meinen Weg weiter über das nun flach erscheinende Wegstück, bis ich die nächste Kletterpartie erreiche. Auf halber Strecke geht die Sonne auf und ich verweile da, wo ich bin. Ziehe die Kamera heraus, esse meine mitgebrachten, nach Eiern stinkenden, gesalzenen Erdnüsse und genieße den Moment. Von weitem sehe ich die andere sich den Weg bahnen. Ich bin nicht mehr alleine. Hier oben wird jede Bewegung schwer. Ich laufe unerklärlich langsam und muss bei leichtem Anstieg so häufig Pause machen wie unten in Phedi, auf den Treppen. Obwohl ich die Erste bin, die losgezogen ist, haben mich bereits drei Pärchen überholt. Mir macht das wenig aus. Sie sind meistens so schnell, dass ich sie nur kurzzeitig sehe. Dann verschwinden sie hinterm nächsten Hügel.

Müll und Aussicht, Mardi Himal Trek, Nepal

Beim Upper View Point, dem letzten Aussichtspunkt vor dem Mardi Himal Base Camp, treffe ich zwei Deutsche aus Berlin und Mainz, die mir von dem jungen nepalesischen Mädchen erzählen, das gestern Abend zum ersten Aussichtspunkt hinterm High Camp gegangen war, um mit ihren Kommilitoninnen beim Sonnenuntergang auf ihren Abschluss anzustoßen. Ein Ausflug der schön beginnt, jedoch tragisch endet. Die Mädels sind, nachdem sie zusammen nepalesischen Whiskey getrunken haben, getrennt hinunter gestiegen und eine von ihnen ist von den anderen unbemerkt den Berg hinuntergefallen. Die Helikopter, die den Morgen über versuchten auf unserem Trail zu landen und einer nach dem anderen scheiterten, waren hier um ihre Leiche zu bergen, an der ich in den frühen Morgenstunden in der Dunkelheit vorbei gegangen war. Ich erinnere mich an mein Unbehagen an genau diesem Wegabschnitt und ein Schauer läuft mir den Rücken herauf. So nah und doch so fern. Hätte ich helfen können? Eine Frage die mir nicht aus dem Kopf will. Der Bergungstrupp ist sich sicher, niemand hätte helfen können. Erst auf dem Rückweg, als ich bei Tageslicht diesen Wegabschnitt sehe, wird mir klar wieso. Es geht steil bergab, fast bis ins Tal, mehrere tausend Meter. Der Berg ist zerklüftet und Bäume beginnen erst relativ weit unten einen möglichen Sturz abzufangen.

Fishtail, Mardi Himal Trek, Nepal
Der Abgrund, Mardi Himal Trek, Nepal

Mit diesem Wissen mache ich mich weiter auf den Weg zum Mardi Himal Base Camp. Im Schneckentempo und weit vorsichtiger als zuvor. Aber der letzte Wegabschnitt ist nur ein leichter Anstieg auf hochgelegenen Hügeln. Hie muss ich nicht irgendwelche Wände hinaufklettern oder die viertausend Meter ins Tal schauen. Mir eröffnet sich der Blick ins Tal, welches zum Anapurna Base Camp führt und ich sehe wie sich die Wolken nähern. Lange wird es hier oben nicht schön bleiben. Das Mardi Himal Base Camp erreiche ich gleichzeitig mit einem 78jährigen Italiener, der erst um acht Uhr losgelaufen ist und an der Hütte gestartet war, an der ich zwei Nächte zuvor geschlafen hatte. Und obwohl ich mich nicht lange am Base Camp aufhalte und mich als erstes auf den Rückweg begebe, überholt mich der Italiener bald.

Ganz oben, Mardi Himal Trek, Nepal

Bergab geht es deutlich schneller als bergauf, aber die steilen Wegstücke sind viel gruseliger. Ich erreiche den letzten Abschnitt genau dann, als der kleinste Helikopter, den ich jemals gesehen habe, landet und den Leichnam abtransportiert. Als ich endlich zurück in der Hütte ankomme, zittern meine Knie und ähnlich wie die beiden Amerikanerinnen am Vortag muss ich erstmal etwas essen. Ich verbringe eine weitere Nacht dort und laufe am nächsten Morgen nach Sidhing, um dort einen Bus oder einen Jeep zu nehmen, der mich zurück nach Pokhara bringt. Ich will schnell zurück ins Tal, weg von den steilen Hängen und dem all zu nahen Tod.

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