DER DSCHUNGEL VON CHITWAN

English text
Der Morgennebel beim Fluss Rapti, Sauraha, Chitwan National Park, Nepal

Wir laufen in Umwegen zum Fluss, wo uns bereits eine kleine Gruppe von Menschen erwartet. Die schmalen aus uralten Holzstämmen geschnitzten Flussboote fächern sich im seichten Strom des Wassers auf und weisen stolz in die weiße Nebelwand. Der Fluss erscheint unendlich weit. Wir sehen das andere Ufer nicht und alle Geräusche werden verschluckt. In einer Gruppe von fünf Touristen und vier Fremdenführern schlängeln wir uns ins Boot und lassen uns vorsichtig nieder. Einer nach dem Anderen, damit auch ja niemand ins Krokodil bevölkerte Wasser fällt. Eine halbe Stunde bleiben wir mit angezogenen Beinen im Boot sitzen. Die feuchte Kühle kriecht in unsere Kleidung und meine Gelenke fangen an zu zwicken. Die Bäume am Ufer und das türkisgrüne Wasser, beides fast verschluckt vom Nebel, sind unsere allgegenwärtigen Begleiter. Unsere Führer zeigen uns die Vogelarten die sie kennen, mir sind sie alle neu. Wir haben Glück und sehen ein kleines Krokodil am Ufer schlafen. Sein Körper liegt halb im Wasser und der Rest ist von dem dünnen Gras gut getarnt. Sollte es hungrig werden wird es ein Leichtes sein, einen Vogel beim Fischen zu erwischen.

Angekommen beim anderen Ufer, ein paar Kilometer unterhalb unseres Treffpunktes, steigen wir auf den schlammigen Strand des Graslandes. Nach wenigen Metern erreichen wir die ersten Bäume und in Sekundenschnelle sind wir mitten im Dschungel. Unser Guide erklärt uns, was erlaubt ist und was nicht.

Wer auf die Toilette muss, sucht einen Busch.

Verwendet nicht die Blätter einer Pflanze, um Euch zu reinigen, denn hier haben die Blätter Dornen!

Wenn ein Nashorn auf euch zurennt, versteckt euch hinter Bäumen oder Büschen.

Sollte es ein Elefant sein, habt ihr verloren.

Unser Fremdenführer hat einen dünnen Bambusstock und Steine in der Tasche. Er braucht nicht mehr um sich zu verteidigen. Er behauptet fest, Wissen sei wichtiger im Dschungel als Waffen. Wir glauben ihm.

Nachdem wir aus dem Boot ausgestiegen sind, teilt sich unsere Gruppe auf. Ich wandere zusammen mit einem Australier und zwei Nepalesen durch den Wald. Wir sind eine stille Gruppe und sehen somit zwei Nashörner aus unmittelbarer Nähe. Bald bleiben wir hinter einem dünnen Bäumchen stehen, während das Nashorn sich malmend immer näher zu uns begibt. Bald wirft unser Fremdenführer den ersten Stein, verärgert hebt das Nashorn seinen Kopf. Es sieht uns und kann sich nicht entscheiden. Muss es aktiv werden, oder kann es weiter fressen. Der Moment geht vorbei, wir haben unseren ersten Adrenalinstoß intus und krabbeln weiter mit weit aufgerissen Augen. Zwischen den Bäumen sehen wir Rehe und meinen ersten Hirsch, der mit stolz aufgerichtetem Kopf, sein Geweih hoch in die Luft gestreckt, unsere Bewegungen verfolgt. Es ist das Schönste, das ich bisher gesehen habe. (Nashörner gibt es viele, aber schön sind sie nicht.)

Im Auge des Riesen,  Chitwan National Park, Nepal

Wir laufen weiter und bald ändert sich die Landschaft. Der Unterwald verdichtet sich, wir klettern über kleinere Seitenarme, laufen vorbei an idyllischen Weihern und finden unsere ersten Tigerspuren. Ich bin froh, dass wir dieses Tier nicht sehen, obwohl unsere Führer stark hoffen. Immer schauen sie um sich. Ich bin beschäftigt damit zu schauen, wo ich hintrete. Im Schatten sind die Blätter feucht und erlauben uns fast geräuschlos durchs Gebüsch zu schleichen. Sobald Sonnenschein die Blätter austrocknet oder der Zufall einen Stock in den Weg legt, hallt ein lautes Rascheln oder Knacken durch den Wald und informiert die einheimische Fauna davon, dass wir unterwegs sind.

An diesem Tag sehen wir unendlich viele Vögel, Affen, Krokodile, Gänse und den wilden Elefanten von weitem. Aber das Spannendste für mich ist die immer wechselnde Landschaft. Das Grasland, das unsere Führer nervös macht, die alten bewachsenen Bäume, das dichte Unterholz, die Termitenhügel, unendlich viel Grün, Sumpflandschaften, abgebranntes Grasland, Seen, Wiesen und der Fluss in der Abendsonne. Noch nie habe ich so viel Schönheit auf einem Fleck gesehen.

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