ROM UND FAMILIENÜBERDOSIS

English text
Fischer auf dem Bolsenasee, Bolsena, Italien

Das erste was mir auffällt ist die frische Morgenluft die mir beim Verlassen des Flugzeuges um die Nase weht. Fasst könnte ich mein Fließ auspacken, aber nur fast. Das Gepäck holen dauert lange, aber alles ist noch da und unbeschädigt. Ich kaufe meinen ersten Cappuccino und mache mich auf den Weg zum Zug. Vorbei fahre ich an den vertraut abgeranzten Wohnblöcken, die die Mehrzahl der römischen Behausungen darstellen. An den letzten kühlen Tagen habe ich das Glück, Rom von seiner besten Seite zu sehen. Wir sind alte Freunde.

Zu Besuch bei einer Studienfreundin, die inzwischen Mama geworden ist, schwelge ich in meinem ersten Gelato und genieße einen vorzüglichen Mozarella di Buffola mit nicht minder gutem Olivenöl. Exzellenz ist in Italien so simpel. Das begeistert mich immer wieder. Verträumt wandere ich durch die Straßen rund um das Colosseo und lausche amüsiert, wie die amerikanischen Touristen sich ohne Italienischkenntnisse durch das Wirrwarr kämpfen. Rom kann furchtbar anstrengend sein, wenn man alle Must-sees an einem Tag abklappern will. Freude kommt hier vor allem beim Warten und Beobachten.

Meine Freundin nimmt mich samt Familie mit zum cemeterio acatolico wo Shelley und Keats, sowie zahlreiche andere ungläubige oder andersgläubige Ausländer ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Beim Betreten des ummauerten Friedhofs tritt man ein in ein ganz neues Klima, in eine neue Geruchswelt. Der Lavendel blüht in seiner lila Pracht. Die Mauern halten die kühle Luft und schirmen uns ab vom Geruch und den Geräuschen der großen Verkehrsachse auf der anderen Seite. Es ist ein zeitloser Ort. Für immer einer meiner Favoriten.

Bald setze ich mich in den Zug um raus zu fahren aus der Stadt. Mein Ziel ist ein vulkanischer See, an dem meine Familie auf mich wartet. Ich freue mich riesig auf das Wiedersehen. Es ist still in Bolsena, einem verträumten und touristischen Dörflein am Rande Latiums. Das Ferienhaus ist groß genug für uns alle und so verläuft das Wiedersehen ganz ruhig und entspannt ab. Wir schnabulieren Pfirsiche und trinken Rotwein. Alle geben sich Mühe, niemand streitet oder diskutiert. Eine Seltenheit in meiner Familie. Wir sind ein bisschen erwachsener geworden.

Poser am Kran, Bolsena, Italien

Am meisten beeindruckt mich, wie fremd die so vertrauten Gesichter am Anfang wirken. Jedes verlorene oder gewonnen Kilo liegt wie eine Maske auf den vertrauten Gesichtszügen. Das frappiert mich. Ich vergesse schnell, wie schön meine Geschwister sind, wenn ich sie nicht täglich vor Augen habe. So eine Abwesenheit tut gut. Nach wenigen Stunden habe ich mich an die veränderten Gesichter gewöhnt und es dauert nur Tage, bis ich das erste mal die Augen rolle. Familie eben.

Es ist schön, wieder mit den Neffen zu kabbeln und auf Abenteuerjagd im Wasser zu gehen. Der See ist meistens glatt und spiegelt alles wieder, was der Himmel zu bieten hat. Der Große lernt schwimmen, der Kleine überwindet seine Angst vor den Fischen. Wir sechs Erwachsenen scheinen gerade genug zu sein, um die Energien der beiden Jungens aufzufangen. Ab und zu schleifen wir sie ins Auto und gehen auf Entdeckungsjagd. Mit sehr viel Geduld erlauben sie uns das Castello Ruspoli zu besuchen. Es ist ein Juwel mit Renaissancegarten und Führung durch den Hausherrn. Weniger überlaufen als die päpstlichen Zeitgenossen (Villa Farnese) und fest verankert in einem kleinen von Haselnussplantagen umgebenen Dorf. So macht Italien Freude.

Renaissance Garten, Castello Ruspoli, Italien

Am Ende der zwei Wochen kommt H. zu einem Spontanbesuch mit ihrem fünf Monate alten Baby vorbei. Ich habe mich dagegen entschieden, nach Deutschland zu kommen (wo ich doch schon in Europa bin). Es ist zu viel psychischer Stress. Natürlich freue ich mich wie Bolle auf H. Das letzte Mal hat sie mich in Helsinki besucht und jetzt eben in Rom. Wie das bei besten Freunden so ist, kommt sie mit vollen Haribo-Händen und macht mich auf ewig glücklich. Na gut, innerhalb von dreißig Minuten war die Schlumpfpackung leer, aber das Glück hat noch ein bisschen nachgeklungen...

Als ich vier Tage später mit ihr zusammen durch Rom wandere (ihr erstes Mal), bevor sie zurück nach Köln fliegt und ich zurück nach Bangkok und während meine Familie in einer achtzehnstündigen Autofahrt den Weg in die deutsche Heimat findet, bin ich bis zum Rand voll mit Vertrautheit. Es ist unglaublich wichtig, von Zeit zu Zeit zu checken was so läuft daheim, aber letztendlich lebt jeder einfach nur sein Leben. Hier wird mal ein Kind geboren und dort mal ein anderes, der eine kauft sich einen Hund, der andere ein Haus oder ein Auto, aber die wichtigen Sachen ändern sich nicht. Jeder macht einfach nur sein Ding, genauso wie ich.

 

*Falls euch die Texte gefallen, unterstützt mich auf Patreon!*

 

Write a comment

Comments: 0