WENN TRÄUME VON REALITÄTEN EINGEHOLT WERDEN

English text
Flugzeug über den Spitzen des Himalayas, Nepal

Ich habe nur eine Regel und die lautet, ohne Flugzeug um die Welt zu reisen. Ich möchte spüren wie Kulturen ineinander greifen. Ich will sehen wie christliche Kulturkreise zu orthodoxen, muslimischen, hinduistischen, buddhistischen und dann wieder zu muslimischen oder christlichen werden. Ich will verstehen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. So habe ich das ganz am Anfang formuliert. Das war vor zwei Jahren. Einmal bin ich bereits in ein Flugzeug gestiegen, um nach vorne zu kommen. Damals bin ich an meine Grenzen gekommen. Für mich galt es zu entscheiden, nach vorne oder zurück. Andere Menschen, die so reisen wie ich (ohne Flugzeug), die genau am selben Punkt zu scheitern drohen (bei der Überquerung Pakistans), reisen über Turkmenistan weiter. An dieser Stelle wäre es möglich gewesen ohne Flugzeug weiter zu machen. Prinzipiell möglich heißt in diesem Fall, dass es für mich eben nicht möglich war. Ich habe diesen Flug am Anfang bitterlich bereut. Heute bin ich froh, dass ich nicht durch Pakistan gereist bin. Nicht weil es mir unmöglich ist oder weil ich Angst habe, sondern weil ich gelernt habe, dass es klüger ist, einige muslimische Länder in Begleitung eines Mannes zu besuchen. Eines Tages werde ich wohl auch dieses Land mit viel Zeit erkunden.

Ursprünglich wollte ich mit einem Segelboot oder einem Containerschiff von Süd-Ostasien nach Australien weiterreisen. In meinen Augen wäre das perfekt gewesen. Die Kosten einer privaten Segelfahrt sind schwer zu kalkulieren, können jedoch je nach Länge der Überfahrt bis zu 1.500€ kosten (manchmal auch kostenlos, das Spektrum ist riesig, jedoch gilt, wer kein Geld hat, muss Zeit mitbringen). Die Überfahrt mit dem Containerschiff hält sich mit 2.000€ ebenfalls in diesem Rahmen. Wieder einmal stehe ich vor einem Dilemma. Es ist absolut möglich ohne Flugzeug nach Australien zu kommen. Prinzipiell möglich. Nur mir ist es das gerade nicht. Denn ich habe mir bereits eine Lebenssituation dort organisiert und meine Gastgeber erwarten mich Anfang August in Sydney. (Das ist auf der anderen Seite des Kontinents?) Außerdem bin ich absolut – rote Zahlen – pleite. Ich stehe also vor der Entscheidung 2.000 € regelkonform oder 200 € regelbrechend zu investieren, um endlich wieder Geld zu verdienen. Da ich schon seit einigen Monaten nicht mehr mein eigenes Geld ausgebe, ist die Entscheidung nicht wirklich meine. Für jeden der von Außen auf meine Situation schaut MUSS der Wunsch 2.000€ für die Überfahrt auszugeben einfach bekloppt wirken. Für mich ist es das nicht, aber meine Argumente sind nicht stichhaltig, niemand versteht meine Obsession mit den von mir aufgestellten Regeln.

Regeln sind da, um gebrochen zu werden, auch wenn es nur eine Regel gibt. Also buche ich den Flug und trauere drei Tage lang um den Verlust meiner perfekten Überfahrt. Obwohl anfänglich eine Welt für mich zusammenbricht, finde ich mich bald mit der Entscheidung ab. Ich finde Gründe sie zu rechtfertigen, und mache konkrete Pläne in Sydney. Mit der Entscheidung für das Flugzeug wird alles ganz einfach. Planbar eben. Ich werde von Malaysia nach Sydney fliegen. Indonesien werde ich nicht sehen. Kein Bali. Kein Inselparadies. Mich stört das wenig. Der spürbare Übergang von Indonesien nach Australien existiert nicht. Australien ist eine vom Wasser geschützte Nation, die versucht, sich von ihren ärmeren Nachbarn abzuschotten. Was auch immer die Urvölker verbunden haben mag, existiert heute nicht mehr.

Eine Entscheidung folgt der nächsten und ich habe ein Ziel, das weit größer ist als einfach nur Australien. Ich will um den gesamten Planeten herum. Das ist länger und anstrengender als dieser kleine Sprung übers Meer. Ich bin fast froh, dass es endlich weiter geht, denn Süd-Ostasien geht mir bereits gehörig auf die Nerven. Ich genieße das Reisen schon seit Monaten nicht mehr. Und das vor allem deswegen, weil ich mich nur schwer von der Hauptachse der Touristen lösen kann. Ohne Geld ist das Reisen nur auf schmaler Spur möglich. Wäre ich nicht alleine unterwegs, würde sich das Problem lösen lassen, denn dann könnte ich ein Auto mieten und in Privatzimmern schlafen. Ich würde morgens nicht erschöpft in einem fensterlosen Schlafsaal aufwachen, würde länger an abgelegenen Orten verweilen, könnte auf eigene Faust das Land entdecken und mich nach meinem eigenen Rhythmus fortbewegen ohne deutlich mehr Geld zu investieren. Das ist die Kehrseite des Alleinreisens. Und weil ich das gerne ändern möchte ohne meine Art zu Reisen grundsätzlich und langfristig aufzugeben, muss ich meine Reisekasse aufpäppeln. Sobald ich wieder Geld habe, liegt die Entscheidung über meiner Zeit wieder in meinen Händen und ich kann die Reise über den Pazifik nach meinem Ermessen planen. Falls ich es schaffe, diese riesige lange Strecke auf einem Boot zu bewältigen, löst sich mein Unwohlsein über den Flug nach Sydney in Luft auf. Wie immer stirbt die Hoffnung zuletzt.

 

*Falls euch die Texte gefallen, unterstützt mich auf Patreon!*

 

Write a comment

Comments: 0