KATHMANDU, NAGARKOT UND DER ANFANG VOM ENDE

English text
Tempeldach, Thamel, Kathmandu, Nepal

Wieder einmal steige ich in den Bus zurück nach Kathmandu und falle gründlich durchgeschüttelt nach 8 Stunden und 18.837 Schlaglöchern in Thamel wieder heraus. Zurück reise ich zusammen mit einer neuen Bekanntschaft aus Delhi, wir haben unterschiedliche Hostels gebucht, da die Saison nunmehr begonnen hat und die Touristenunterkünfte überlaufen sind. Wir telefonieren uns zusammen und treffen uns zu Lunch und Dinner. Ich lerne viel von ihr. Viel über brahmanische Frauen und die Erwartungen an sie in der Oberschicht Delhis. Oft verursachen ihre Beschreibungen Kopfschütteln bei mir. Einmal pro Woche muss sie zum Friseur, zur Maniküre, zur Pediküre. Es geht mehr um die Arbeit, die sie in ihre Schönheit investieren, als darum natürliche Attribute hervorzuheben. Eine wunderschöne Frau kann hier als nicht schön gelten, weil sie nicht häufig genug zum Salon geht. Wie im Iran fällt der kleinste Hauch von Körperbehaarung negativ auf. Aber auch naturbelassene Nägel (wie ich sie Zeit meines Lebens trage) werden dahingehend interpretiert, dass man kein Geld hat oder einfach eine Frau ohne Stil ist. Als ich versuche zu formulieren, wie unser Schönheitsideal aussieht, wird mir klar, wir sind nicht logischer. Das Konzept von natürlicher Schönheit ist so unfair wie sinnfrei. Wer bewertet schon, ob jemand natürlich schön ist oder nicht? Und wenn man sich lange genug mit unserer Gesellschaft auseinandersetzt, ist die Schönheit so ganz natürlich auch nicht. Ein Fass ohne Boden.

Thamels nächtliche Straßen, Kathmandu, Nepal
Durbar Square, Thamel, Kathmandu, Nepal

Hier treffe ich K., dem ich schon im Iran über den Weg gelaufen bin. K. hat damals den Kontakt zwischen mir und J. hergestellt, mit dem ich dann über zwei Wochen durch den Iran getrampt bin. Zwischen Freunden, die mich besuchen kommen und Menschen denen ich auf meiner Reise wieder und wieder begegne, ist der Genuss des Bekannten inzwischen ein regelmäßiges Vorkommnis. Zusammen laufen wir zum Durbar Square in Thamel. Es ist eine der Hauptattraktionen in Kathmandu und ich habe sie bis heute nicht besucht. Kathmandu ist mir zu staubig und zu anstrengend, um Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Und tatsächlich habe ich wenig verpasst, denn Bakthapur hat ganz ähnlich Strukturen und Bauten, die weit besser erhalten und noch schöner eingebettet sind. Zum ersten Mal kann ich mich in Kathmandu oder besser Thamel ohne Karte bewegen. Ich fühle mich sicher und allseits orientiert, sodass mich das Gerummel und die schnell an mir vorbeifahrenden Mopeds nicht mehr stören. Schon seit einigen Wochen denke ich bei vorbeifahrenden Motorrädern nicht mehr daran, wie ich mich vor möglichen Grapschern schützen kann. In solchen Momenten merke ich immer wieder, wie angespannt ich immer noch bin. Denn auch Nepal ist nicht frei von schlecht erzogenen Männern. Geht man nach 22 Uhr die Lakeside in Pokhara entlang, wird Frau eingeladen ins „sexy, sexy Taxi“, zur „sexy time“ oder zu „come, come fuck“ begleitet von starrenden Blicken. Nepalesen erscheinen mir zu Beginn als harmloses und freundliches Volk. Aber natürlich unterscheiden sie sich nicht von allen anderen. Hier werden die Anmachen mir gegenüber jedoch nur ausgesprochen selten handgreiflich. Ob das daran liegt, dass ich nicht selten einen Kopf größer und zwei Schultern breiter bin als die Männer, weiß ich nicht. Mir soll es recht sein. Meistens wickle ich mich dann einfach enger in meinen Schal und gehe schnurstracks zurück ins Hostel.

Thamels nächtliche Straßen, Kathmandu, Nepal

Aus Kathmandu fahre ich noch einmal raus aufs Land, nach Nagarkot. Ich besuche P. und S. im Sister's Homestay und verbringe die Woche damit, die restlichen Texte zu schreiben, damit ich in Tibet und China voll auf Abenteuer gehen kann. Mit mir ist eine kleine Gruppe von Briten und Franzosen da, gemeinsam machen wir Mousse au chocolat, nepalesische Burger, essen unendlich viel Dhal Bhat und machen Gartenarbeit. Ich werde krank, schlafe viel, bekomme Fieber und einen Schnupfen, der sich gewaschen hat. Bevor ich diesen wunderbar friedlichen Ort hinter mir lasse, stellt mir mein Körper eine kleine Zwischenrechnung. Lieber jetzt, als später.

Nagarkot, Nepal

Als ich mich auf den Weg mache, fängt es an zu regnen. Da die Busfahrer streiken und hier vorwiegend Motorräder rauf und runter cruisen, die für mich und meinen Rucksack keinen Platz haben, muss ich laufen. Unter dem Wellblechdach einer Bushaltestelle ziehe ich mir meine Regenmontur an und dann geht’s, Podcast hörend, los.

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