NORMALITÄT

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Im Textilmuseum von Luang Prabang, Laos

Nach knapp 21 Monaten des Reisens hat sie sich eingestellt: die Normalität. Nachdem ich durch jede Menge schwieriges Terrain gereist bin, empfinde ich Südostasien als langweilig. Egal wo ich hinreise, mit Leichtigkeit schaffe ich es, meine Grundbedürfnisse zu stillen und Tempel und Paläste sind immer wie oder ein bisschen anders als. In letzter Zeit habe ich gegrübelt, woran das liegen mag. Bin ich verwöhnt? Oder ist Südostasien einfach nicht so spektakulär?

Vor zwei Tagen stand ich vor einem atemberaubenden Wasserfall, aber da seine Ufer von Touristen bevölkert waren, fiel die versprochene Magie wie überschlagenes Eiweiß zusammen. Das Baden war erfrischend, ich war in bester Gesellschaft (Leo & Sebastian vom eins2frei-Blog) und trotzdem hatte ich keinen einzigen wow-Moment, kein kribbeln im Bauch und keine leuchtenden Augen. Ich sehe so etwas nicht jeden Tag, aber ich habe es in den letzten Monaten bereits 2 oder 3 Mal vor Augen gehabt. Nicht von nahem, nie war es warm genug zum Baden, aber immer schön und immer hat es in mir den Wunsch geweckt zu verweilen.

Kuang Si Wasserfall in seiner vollen Pracht, bei Luang Prabang, Laos

Das Finden von atemberaubenden Landschaften ist meine Normalität und ich brauche Urlaub. Für viele da draußen mag das komisch klingen, denn was tue ich denn seit geschlagenen 2 Jahren, wenn nicht Urlaub? Würdest du vor mir stehen, würde ich anfangen dir vom Unterschied zwischen dem Reisen und dem Urlaub machen zu erzählen. Aber da du das hier liest, und mich demnach kennst, ist das unnötig. Ich hatte dieses Jahr noch keinen Urlaub, kein Wochenende, keinen Feiertag. De facto verfolge ich seit fast 690 Tagen dasselbe Ziel. Natürlich hatte ich ruhige Momente, Zeit zu reflektieren und besonders um Weihnachten herum hatte ich in Dehli Raum und Zeit um zu denken. Es war ein bisschen wie Urlaub. Für mich sieht Urlaub inzwischen jedoch anders aus als für dich. Ich träume von einem Raum mit Schreibtisch, Verbindlichkeiten, regelmäßigen und selbstgekochten Mahlzeiten, von To-Do-Listen und Spreadsheets, Bewerbungsgesprächen und E-Mails. Allerdings erhoffe ich mir von so etwas dasselbe wie du, von deinem Urlaub. Ein Aufatmen, das Abfallen allen Stresses, Zeit zum Grübeln und zum Entscheidungen fällen.

Bevor ich Urlaub machen kann, muss ich noch durch fünf Länder reisen, zwei Wochen mit meiner Familie abhängen (was einen ganz eigenen Stress mit sich bringt), mit etwas Glück ein Segelschiff finden, meine Psyche an kurzer Leine halten und positiv bleiben. Aber das heißt, dass ich wahrscheinlich keine euphorisch glücklichen Erlebnisse haben werde. Meine Geschichten können langweilig werden, weil eben nicht viel mehr in meinem Kopf passiert. Meine Kamera wird immer häufiger vergessen, denn wunderschöne Bilder entstehen vor allem dann, wenn ich etwas als schön empfinde. Gehe ich durch die Straßen in Luang Prabang bin ich in meiner Normalität, eben nicht in einer exotischen Kulisse.

 

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Comments: 2
  • #1

    Katharina (Monday, 22 October 2018 23:01)

    So ging es mir ein bisschen, als ich durch Argetinien und Chile gereist bin. Nach drei Monaten hatte ich keine Lust mehr auf Tourikram und fand, dass sich die Städte alle ähneln und es nicht mehr viel spannendes zu entdecken gab... Wer weiß, was für Erkenntnisse ich gehabt hätte, wenn meine Reisezeit dann nicht zuende gewesen wäre :-)

  • #2

    Bella (Tuesday, 23 October 2018 12:19)

    Ja, das habe ich mir auch ganz lange überlegt, aber inzwischen denke ich, dass in so einer Situation nichts weiterhilft und nur das Innehalten und der Alltag einem die Freude am entdecken zurück geben kann. :-)