VARANASI – ZWISCHEN BEWUNDERUNG UND SCHAM

English text
Das Leben ist ein langer ruihger Fluss, Varanasi, Indien

Nach Varanasi komme ich nur, weil ich in Delhi in den falschen Zug gestiegen bin. Zugfahren in Indien birgt viele Tücken und somit steige ich in den Zug, der zur richtigen Zeit am richtigen Gleis steht, die richtige Zugnummer trägt und doch an den falschen Ort fährt. Mein Plan war von Delhi nach Gorakhpur zu reisen, dort eine Nacht zu bleiben und dann in den Bus an die nepalesische Grenze zu fahren. Wie mir meine indischen Mitreisenden erklären, hat Karma eingegriffen. Glücklicherweise fährt der Zug nicht in eine andere Richtung, nur an einen schöneren Ort. Beim Aussteigen sehe ich ein weißes Pärchen und da ich keine Zeit habe, mich über die Hostelsituation vor Ort zu informieren, tue ich mich mit ihnen zusammen.

Die heilige Kuh ist überall, Varanasi, Indien

Gemeinsam kämpfen wir gegen die schamlos lügenden Rikschavermittler, die versuchen uns in Rikschas zu stopfen und zu dem Hotel zu fahren, von dem sie Provision bekommen. Es ist ein Kraftakt. Hier gilt die Prämisse, wenn man oft genug fragt und Druck aufbaut, dann macht der Tourist schon was man will. Aber nicht mit mir. Ich werde sehr deutlich. So deutlich, dass die Franzosen neben mir mich verwundert anblicken. Seid dem Iran habe ich jeglichen Wunsch als höflich erinnert zu werden abgelegt. I don't give a f***. Aber auch das hilft nicht. Unser Peiniger spielt das wer-den-längsten-Atem-hat Spiel.

Einheimische Touristen, Varanasi, Indien

Als unser Taxi endlich kommt, haben wir das Schlimmste überstanden. Auch hier vertraue ich nicht dem Taxifahrer, sondern kontrolliere die Route auf meinem Handy. Aber er bringt uns dahin, wo wir hin wollen. Alles riecht verfault und gammelig. Wir laufen vorbei an klitzekleinen Handwerksläden, sehen, wie Männer und Frauen an kleinen Webstühlen sitzen und kleine Kinder mit Steinen spielen. An vielen Ecken sehen wir gammelnde oder vertrocknete orangene Marigoldblüten. Nach einigen falschen Versuchen kommen wir zu unserem Hostel. Unser Guesthouse hat einen französischen Namen und verbirgt sich hinter einer blauen Holztür. Sobald wir drin sind, ist der faulige Geruch weg, wir stehen auf weißen Kieselsteinen und werden freundlich willkommen geheißen.

Von Spielzeug zu Müll, Varanasi, Indien

Varanasi gilt als eines der religiösen Zentren des Landes. Ich hatte mich dagegen entschieden es zu besuchen, weil ich befürchtete, dass die Touristen die hier her kommen ein mir unsympathischer Mix aus Dreadlocks tragenden, Gras rauchenden Exemplaren sind. Ich habe Recht behalten. Hier sehe ich, wie sich Europäer pseudo-spirituell mit Sadhu's (bezeichnet „heilige Männer“ die streng asketische Leben führen, man erkennt sie an den oft orangenen oder weißen Tücher, Dreadlocks und Farben im Gesicht) unterhalten, Gras rauchen und auf den heiligen Treppen Varanasis drogengetränkte Erkenntnisse haben. Wieder einmal machen mich meine Landsleute sprachlos. Ich empfinde ihr Verhalten als oberflächlich, romantisiert und kulturell unsensibel.

Boottouren, Varanasi, Indien

Die sogenannten Ghats sind spannende Orte. Hier vollziehen die Hindus ihre rituellen Waschungen im Ganges, hier werden die Leichname der Verstorbenen verbrannt, hier existieren Leben und Tod Hand in Hand. Zwischen den Flammen der Kremationen rennen junge Männer einher, um die Flammen zu schüren, Kühe fressen die Marigoldgirlanden von den Grabbeigaben und Kinder lassen kleine Papierdrachen steigen. Hier wird getrauert und gefeiert. Jeder Tag ist Fest und Alltag zugleich.

Was drinn ist, Varanasi, Indien

Der Ganges ist der dreckigste Fluss, den ich jemals gesehen habe. Und trotzdem sieht er auf meinen Fotos aus als wäre er traumhaft türkisblau. Die echte Farbe des Wassers, ein Braungelb mit Grünstich, wird durch die Reflexion der Wolken zu einer der schönsten Farben überhaupt. Varanasi sieht auf meinen Bildern so viel schöner aus als es eigentlich ist. Vertraue niemals einem Bild.

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