TAMPERE

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Graffiti in Tampere, Finnland

Tampere besuchte ich nur, weil mir so viele erzählt haben, dass ich diese Stadt nicht verpassen dürfe. Meine touristische Exkursionswut hatte ich bereits in anderen Orten ausgetobt und erwartete nicht, dass ich hier noch einen mir unbekannten Aspekt des Finnischen Lebens entdecken würde. Inzwischen hatte ich einige Male das Gefühl gehabt immer wieder sehr ähnliches zu sehen und mich trieb die Neugier eher in die Landschaften des Nordens als in eine Großstadt im südwestlichen Finnland. Da ich jedoch gelernt hatte, meinen Finnen zu glauben, wenn sie etwas empfahlen, fuhr ich brav in die Stadt: dem Manchester Finnlands.

Stadtkarte Tampere, Finnland

Ich war mit dem Zug angereist und hatte einen Nachmittag in dem ich schlendernd die Stadt erkunden konnte. Sie ist vom Bahnhof aus betrachtet nichts besonderes. Dem Muster eines Schachbrettes folgend breitet sich die Innenstadt nach einem Entwurf von Carl Ludwig Engel, einem bedeutenden deutsch-finnischen Architekten, entlang einer Hauptpromenade aus. Engel hat das Stadtbild mehrerer Finnischer Städte geprägt, darunter Porvoo und Turku. In Helsinki entwarf er das klassizistische Universitätsgebäude, den Senat und den Dom in einer Zeit, als Finnland noch ein Teil Russlands war. Kannte man seine Stilistik und wusste wie seine Sachen aussahen, erkannte man seine Spuren an vielen Orten.

Schönes Auto auf der Hauptstraße, Tampere, Finnland

Wenn man vom Bahnhof aus nicht dem Strom der Masse folgt, sondern direkt rechts abbiegt kommt man an die Tuomiokirkko, den Dom von Tampere. Es ist ein ziemlich großer Bau aus blau-grauem Granit, der im Stil der Finnischen Nationalromantik auf einem kleinen Hügel thront. Diese Kirche sieht aus wie ein Zwitter zwischen Disney-Schloss und nordischer Festung. Sie ist ausgestattet mit all den kleinen Details und Schönheiten eines Baus der Jahrhundertwende, tritt jedoch nach außen mit einer fast schmucklosen, nordischen Granitfassade mit zwei unterschiedlich hohen Türmen in Erscheinung.

Der Dom von Tampere, Außenansicht und Westfassade, Tampere, Finnland

Der Innenraum ist nicht weniger beeindruckend. Er ist komplett ausgemalt mit Szenen (und Gemälden), floralen Dekorelementen und dezent gehaltenen Buntglasfenstern. Die vom Symbolismus geprägte Ausstattung der Kirche und im besonderen das Deckengemälde mit der Schlange aus dem Paradies, welches am höchsten Punkt der Decke positioniert ist, fiel mir sofort auf. Laut Wikipedia bietet diese Abbildung wohl auch heute noch Konfliktpotential, da sie als nicht angemessen gilt. Ich empfand die freche Abweichung von der Doktrin erfrischend. Außerdem ist das Ensemble einfach und schön. Das Licht fällt spärlich und kreiert spannende Lichtreflexe im Raum und an den Wänden. Es ist ein Ort, der sowohl für mich erkennbare Merkmale des Jugendstils (wie aus meiner Heimat), als auch das für mich nur langsam greifbare Nordische vereint.

Wandert man von dort aus weiter, läuft man an einer in derselben Zeit gebauten und ausgesprochen schönen Feuerwehrstation vorbei. Mir gefielen vor allem die hübsch aneinandergereihten Garagentüren die entlang einer halbrunden Hauswand adrett in einen kleinen Vorhof führten. Erst später las ich etwas über Wivi Lönn, die Architektin dieses Gebäudes. Sie war die erste finnische Architektin, die ein eigenes Büro eröffnete und die fünfte Frau in Finnland, die ihr Architekturexamen ablegte. Ihre Biografie würde mich sehr interessieren, aber soweit ich sehen kann, gibt es kaum Übersetzungen.

Hauptwache der Feuerwehr, Tampere, Finnland

Danach ist man bereits direkt am Tammerkoski-Strom. Dort erschließt sich sofort, warum diese Stadt das Manchester von Finnland genannt wird. Die Industriegebäude aus Backstein glimmern rot in der Wintersonne. Das Wasser fällt in Korkenzieherlocken einige Meter in die Tiefe und fließt dann weiter bis in den See auf der anderen Seite der Stadt, dem Pyhäjärvi. An dieser Stelle muss man sich entscheiden, rechts oder links? Ich entschied mich dafür zunächst die von großen Figuren gesäumte Brücke der Hauptstraße zu überqueren und dann nach rechts zu laufen, vorbei an schönen, großen, alten Industriehallen, die einige kleine Hinterhöfe bilden, geradewegs zum Näsijärvi.

Blick auf den Vergnügungspark, Tampere, Finnland
Der Näsijärvi, Tampere, Finnland

Der war von einer (hoffentlich) dicken Eisschicht überzogen. Da die Einheimischen furchtlos auf dem etwas angetauten Eis herumliefen, gab ich mir einen Schubs und ging hinaus auf den See. Von dort aus sahen alle Gebäude klein aus. Der Dampf aus den Industrieschloten wirkt wie eine ferne Erinnerung und der in dieser Jahreszeit ausgestorbene Vergnügungspark Särkänniemi war eine gespenstische Erscheinung. Im Sommer war es bestimmt wunderbar, mit dem Boot auf den See zu fahren oder schwimmen zu gehen. Im Winter konnte ich das leichte Einsinken meiner Füße auf der angetauten Eisschicht nicht länger ignorieren und rettete mich an Land, auf eine Suppe und einen Cappuccino in eines der kleinen historischen Holzhäuser.

Lichterketten vor der Häuserwand meines gewählten Kaffees, Tampere, Finnland

Weiter lief ich den Quadraten folgend ein wenig umher, bis ich zu meinem persönlichen Highlight gelangte: der Tampereen Kauppahalli. Wie alte Kaufhallen in Riga oder auch in Frankreich und England, entfaltet sie einen historischen Charme und bleibt doch immer zeitgemäß. Die vielen kleinen Verkaufsstände bieten günstige Waren. Bäckereien, Kaffees, Gemüsehändler, Fleischereien und Bistrots teilen sich diesen historischen Ort und halten ihn lebendig. Wieder einmal wünsche ich mir ein 30mm Objektiv herbei. Das hier passt bei mir einfach nicht ins Bild.

Inzwischen war die Sonne untergegangen, die Straßenlaternen und Winterlichter gingen an und aus den Schornsteinen quoll Dampf. Er waberte in der goldenen Abendsonne und wurde von der dünnen Eisschicht in rosa Tönen reflektiert. Mit einem Kaffee in der Hand und meinen Backwaren aus der Kauppahalli setzte ich mich ziemlich erschöpft in den Regionalzug zurück nach Helsinki.

Auf einer dünnen Eisschicht reflektierendes Abendlicht, Tampere, Finnland

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