DER LANGE WEG NACH NAGARKOT

English text
Zwischen Bakthapur und Nagarkot, Nepal

Ab und an packt es mich. Dann setze ich mir irgendetwas in den Kopf. Und so muss es dann gemacht werden. Das war bereits in Polen so, in Georgien und jetzt hier in Nepal. Ich will laufen von Bakthapur nach Nagarkot. Es sollen 15 Kilometer sein. Das ist zu schaffen, beschließe ich. Ich setzte meinen Rucksack auf und mache meinen ersten Schritt. Zunächst laufe ich hinaus aus der Stadt, rein in ein Industriegebiet und dann auf den Berg hinauf. Die Berge habe ich nicht einkalkuliert. Ich muss alle zehn Meter Pause machen. Den Berg hinauf ist es unmöglich, meine normale Geschwindigkeit aufrecht zu erhalten. Auch ok. Ich habe für diesen Trek 6 Stunden eingeplant, was natürlich viel zu wenig ist. Ich werde von freundlichen Ladies zu einem frittierten Kringel auf eine Pause eingeladen und schleiche mich dann in Begleitung von zwei jungen Mädels an der Stupa vorbei den Berg hinauf. Der Anstieg hört und hört nicht auf. Ich sehe niemanden anderen diese Route laufen. Die Einheimischen wirken verwundert, eine Touristin auf ihrer Straße zu sehen. Mein Kopf ist rot wie eine Erdbeere, ich schnaufe wie eine Lokomotive und das Wasser rinnt mir in Wasserfällen den Rücken hinab. Ein Anblick für Götter. Aber das ist das Schöne am Trecken. Alle Eitelkeiten fallen von mir ab. Ich bin ganz im hier und jetzt, damit beschäftigt einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Zwischen Bakthapur und Nagarkot, Nepal

An jeder Bushaltestelle an der ich vorbeikomme bleibe ich einige Minuten sitzen, verschnaufe und überlege mir, ob ich warten und einsteigen soll oder nicht. Jedes mal entscheide ich mich dagegen. Ich entwickle einen fast masochistische Freude daran, mich selbst den Berg hinauf zu prügeln, immer mit einem Auge auf meiner Handykarte. Nur noch die Hälfte, nur noch 4/7, 3/7, 2/7, 1/7, die Hälfte davon, die Hälfte davon, etc. Als ich vor einer nicht enden wollenden Treppe ankomme, zahle ich eine kleine Mautgebühr (umgerechnet 1,50€), die angeblich zum Wiederaufbau der stark erdbebengeschädigten Region dient. Die Treppe ist neu. In regelmäßigen Abständen erheben sich die Stufen den Berg hinauf. Es ist nicht leicht hinauf zu krabbeln, aber wenigstens ist jeder Schritt ein messbarer Fortschritt und die Aussicht spektakulär.

Zwischen Bakthapur und Nagarkot, Nepal

Zweimal laufe ich an meinem Ziel vorbei. Schließlich klopfe ich an eine blaue Tür. Niemand öffnet, doch ich trete ein und rufe weiter, bis ein verschüchtertes Mädchen aus einer Ecke kriecht und mir den Weg weist. P. ist hier bekannt. Im Dorf weiß jeder, wer sie ist, also muss ich sie auch finden können. Und tatsächlich liegt ihr Haus auf dem Weg, allerdings gut versteckt. Um zum Sisters Homestay zu kommen muss man durch den Garten des Nachbarn gehen, vorbei an seinen Hühnern und Ziegen. Ohne Zuspruch hätte ich mich nicht getraut, aber da es inzwischen dunkel wird, ist es dringlich genug, dass ich mich den Hühnern und Ziegen stelle.

Zwischen Bakthapur und Nagarkot, Nepal

Ich komme an in einem Nest mit Freiwilligen. Die vier Anderen, die diesen Ort über Workaway gefunden haben, sind Deutsche. Alle sind ganz typisch für Touristen in Nepal: jung, alternativ und vegan. Nur meine Gastgeberin ist nicht da. Sie ist gerade in Indien unterwegs. Was am Anfang merkwürdig erscheint, stellt sich als gar nicht so schlimm heraus. Das Homestay wird schließlich von zwei Frauen geschmissen und eine der Beiden ist noch vor Ort. Das Haus besteht aus Bambus, Holz und Lehm. Es hat vier gleich große Räume, Dusche und Plumpsklo sind im Garten. Einer der vier Räume ist eine Küche, in den anderen drei Räumen stehen Betten. Diese sind relativ hart, aber mit zahlreichen Kissen ausgestattet. Die Decken bestehen aus Baumwolle. Auf sie darf man sich nicht setzen oder legen, da die Baumwolle dann klumpt und ihre wärmenden Attribute verliert. Mir reicht die Wärme der schweren Baumwolldecken nicht. Ich liege unter ihnen mit meinem Daunenschlafsack und friere trotzdem noch. In der ersten Woche gibt es nicht viel Arbeit, was mir hilft anzukommen. Ich lerne mit den Fingern zu essen, wie man Roti macht und höre mir die Erlebnisse der Anderen an. Uns verbindet wenig und doch haben wir alle denselben Ort gewählt. Merkwürdig wie so etwas sich manchmal fügt.

 

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Comments: 1
  • #1

    Horst Leber (Sunday, 29 April 2018 08:45)

    Super tolle Geschichte.