EIN SPAZIERGANG - LODHI GARDEN

English text
Ein Fahrrad, alltäglich und überall in der Welt zu finden, Lodhi garden, Indien

Mein erster Ausflug in Delhi führt mich in den Lodhi Garden. Online kann man eine Menge netter Dinge über ihn lesen, J. hat ihn irgendwann mal erwähnt und auf der Karte findet man ihn leicht. Außerdem ist er keine Hauptattraktion und verspricht einen entspannten Besuch ohne zu viele Menschen und Touristenfallen. A. fährt mich bis direkt vor das Westtor und wir machen ab, dass wir uns in zwei Stunden am gleichen Ort wiederfinden.

Lodhi garden, Indien

Der Park ist groß, das Gras vertrocknet und strapaziert, der Himmel ist smogverhangen und die Blätter staubbehaftet. Der Park ist voll mit Schulkindern, Vögeln und Tunichtguten. Ich bahne mir langsam einen Weg durch die Schulkinder und mache es bald wie die Einheimischen, ungeachtet der den Rasen umgebenden Zäunchen betrete ich frech das braune Geflecht. Hier stehen große alte Gebäude inmitten der Parklandschaft. Anders als bei uns in Europa sind es keine Wohnhäuser und Paläste, sondern Gräber. Die Bögen schwingen sich anders als im Iran, in Schwüngen zu Spitzen zusammen. Häufig sind die Bögen doppelt verziert. Die Formensprache ist eine ganz andere und doch ist der Abstand zu den iranischen Formen nicht unendlich. Hier spüre ich deutlich, dass mein Faden durch das Fliegen gerissen ist. Bisher konnte ich solche Entwicklungen immer gut sehen. Häufig gibt es Länder in denen beide Kulturen präsent sind. Man kann die orientalischen Formen neben denen des Mittleren-Ostens sehen und direkt vergleichen. Manchmal ist der Wechsel hart, manchmal weich, aber es gibt immer einen Wechsel, der eine Geschichte erzählt. Ich kann diese Geschichte zwischen Indien und dem Iran nicht lesen, weil ich in ein Flugzeug steigen musste. Das macht mich traurig. Am Ende heißt es jedoch nur, dass ich einen neuen Faden aufnehmen muss. Ich beginne neu hier in Delhi.

Meine Reise ist bisher in sieben Abschnitte geteilt. Gerade befinde ich mich am Anfang des dritten Teils dieser Reise. Ich habe noch nicht einmal die Hälfte geschafft und doch bin ich hier gerade etwas ratlos. Soll ich den Faden wieder aufnehmen und wenn ja, wie? Noch nie ist mir so deutlich geworden, wie vergleichend ich meine Welt wahrnehme. Die Art wie ich reise, ist ausschließlich dazu da mir diese Vergleiche zu ermöglichen. Das ist auch das, was mich an meinem Studium fasziniert hat. Ich bin nicht interessiert an Absolutem, sondern an Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Hier im Lodhi Park sehe ich viele. Und da ich sie nicht mit Pakistan vergleichen kann, kehre ich zurück zu dem mir vertrautesten, dem Europäischen. Das Grün ist hier so gedämpft, wie die Uniformen unserer Soldaten. Der Straßenstaub liegt wie Blei über dem Grün und wartet auf den Regen. Man erkennt die Bäume, die aus irgendwelchen Gründen sauber gemacht werden daran, dass sie im Licht hellgrün schimmern. Die Vögel schwirren in der Stadt in Scharen über den Himmel. Es gibt nicht ausschließlich Tauben und kleine Stadtvögel wie bei uns. Hier in Delhi sieht man Raubvögel genauso wie Stadtvögel. Sie kreisen über den Gräbern und wie von alleine entsteht ein typisch indisches Bild vor meiner Linse. Ein altes verziertes Gebäude, der gleichmäßig graue, in der Linse jedoch weiß erscheinende Himmel und das gedämpfte Grün der Bäume. So sieht man Indien häufig in den Tourismuskatalogen der Welt. Nun fehlen nur noch Maharadschas, Tiger, Elefanten und trainierte Affen, dann wäre das Klischee perfekt. Hier liegt jedoch genau das Problem. Das Klischee interessiert mich nicht. Ich will dem Klischee entkommen. Ich möchte keine Yogis fotografieren oder mich mit Babas unterhalten. Ich will Menschen wie mich kennen lernen, will wissen wie sich unsere Leben ähneln und unterscheiden. Ich will vergleichen.

Shish Gumbda, Lodhi garden, Indien

Ich kehre, obwohl nichts passiert und es ein wunderschöner Spaziergang ist, erschöpft nach Hause zurück. Die kleinsten Vorkommnisse beunruhigen mich. Ich weiß sie nicht einzuordnen und werde von ihnen vor unlösbare (wenn auch völlig unerhebliche) Rätsel gestellt. Zu schnell bin ich überfordert.

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