100 BLOGTEXTE

English Text
Looking into the bag, New Delhi, India

Nach 484 Tagen beginne ich nun endlich meinen 100. Blogpost zu schreiben, genau genommen ist es mein 105. Blogpost, „but who's counting“! Am 537. Tag, habe ich ihn dann auch endlich redigiert, übersetzt und veröffentlicht. Alles dauert länger als man denkt.

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Dieser Blog ist meine ganz individuelle Schreibwerkstatt. Schreiben ist kein Hobby, war es nie. Ich habe nie länger als eine Woche Tagebuch geschrieben (ausgenommen sechs Monate in Marmande, Frankreich), nie Gedichte produziert, Liedtexte erfunden oder mein Innerstes in irgendeiner Form nach außen gekehrt. Warum sollte ich auch? Wen würde das schon interessieren? Die einfache Antwort ist, es interessiert MICH. Ich möchte meine Gedanken zu Papier bringen, festhalten was in meinem Kopf passiert. Mein Kopf funktioniert nicht so wie ich das gerne hätte. Meistens machen Erinnerungen mich peinlich berührt. Ich empfinde mein vergangenes Ich als geringer, als kleiner, als peinlich... Die Fotographie erlaubt mir Erinnerungen hervorzuheben, das Positive zu betonen, die Schönheit festzuhalten, die sich in meinem Kopf all zu schnell relativiert. Das geschriebene Wort ermöglicht mir die Unsicherheit, die Relativität dieser Schönheit auszudrücken. Zusammen komme ich dem näher, was mich an der Welt und an mir selbst fasziniert: dem Spagat zwischen Sicherheit und Gefahr, Schönheit und Ekel, Liebe und Hass. Langsam werde ich konsistenter, manchmal bin ich sogar gut. Einige Blogposts lese ich wieder, andere vergesse ich ganz. Bei jedem versuche ich etwas Erlebtes auszudrücken. Versuche subjektiv zu sein, selektiv. Wie immer gelingt es manchmal und manchmal nicht.

Im Moment ist das Schreiben nicht Kunst, sondern Teil meines Weges. Denn alles was ich in meinem Leben erreichen will, setzt voraus, dass ich meine Perspektive in Wort und Schrift fassen kann. Der Text ist die Basis. Es ist eine imperfekte, sehr lückenreiche, vereinfachte Basis, aber sie ist das einzige Fundament, das mir zur Verfügung steht. Ich habe kein Talent fürs Schreiben. Aber ich liebe es, mich mit dem geschriebenen Wort zu beschäftigen. Das ist besser als Talent. Ich habe viele Talente, bei den meisten habe ich kein Interesse sie auszubilden, zu untermauern mit dem handwerklichen Knowhow den es braucht um andere Menschen an diesem Talent teilhaben zu lassen. Wir sollten das Wort Talent aus unserem Vokabular streichen. Es ist Zeitverschwendung. Ein Lückenfüller den Menschen benutzen, wenn sie nicht verstehen, wo jemand etwas gelernt hat. Ersetzt Talent mit dem Wort Neigung, und ihr seid deutlich näher an der Realität. Ich habe eine früh gelernte Neigung zu Texten. Die längste Zeit habe ich damit verbracht, zu glauben, Schriftsteller wären vom Genieblitz getroffene Menschen. Nichts ist ferner von der Wahrheit. Ich wünschte, meine Deutschlehrerinnen hätten das vermittelt oder auch nur verstanden. Anstelle dessen haben sie uns sinnfreie Regeln unter die Nase gehalten und behauptet: so sieht ein Text aus. Das ist, wie wenn ich Picassos Bild einer Taube hochhalte und sage: so sieht eine Taube aus. Es könnte nicht weiter von der Realität entfernt sein. Nur wer eine Taube sieht, sie hört, sie beobachtet, weiß wie eine Taube aussieht. Alle anderen wissen wie eine Taube aussieht, wenn Picasso sie auf das Wesentliche reduziert. Das mindert den Wert des Bildes nicht. Im Gegenteil, schließlich hat Picasso seinen Job getan und etwas geschaffen, was universell verstanden wird. Eine große Leistung. Will man jedoch den Job Picassos erfüllen, muss man die Tauben beobachten, um das zu sehen, was Picasso nicht sah. Und das mache ich gerade. Ich versuche die Welt zu sehen. Natürlich werde ich scheitern, aber hier geht es nicht ums Gewinnen. Bei der Kunst geht es ums Scheitern. Ich werde so oft scheitern, bis andere glauben, ich würde gewinnen.

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In Dehli habe ich das Glück einen Vortrag über das Bloggen zu hören. Es ist eine willkommene Erinnerung an die Grundfesten dieser Art des Publizierens. Auch wenn nichts von dem Gesagten mir tatsächlich neu ist, schaue ich mit frischem Blick auf mein Werk und meine Entscheidungen. Früh habe ich beschlossen, meinem Blog kein finanzielles Ziel zu geben. Ich will keine Werbung schalten und nicht mit Firmen kollaborieren. Dabei verliere ich aus den Augen, dass jeder Mensch der einen Blog schreibt, etwas verkauft. Das muss nicht immer ein Produkt sein, nicht immer einen monetären Austausch nach sich ziehen, aber niemand ruft in den Wald hinein ohne nach einem Hall zu lauschen. Ich muss mir wieder einmal überlegen, was ich hier verkaufe. Denn gerade habe ich keine Ahnung. Vielleicht hat jemand, der dies liest eine Idee? Von Außen sieht man das immer leichter als von Innen. In einer Idealen Welt, würde ich Texte schreiben für Jedermann. Natürlich besonders für Menschen wie mich, die sich fragen wie es ist, alleine zu Reisen. Frauen, die sich nicht sicher sind, ob sie das alleine können. Gleichzeitig jedoch auch für Menschen, die nicht vorhaben, um die Welt zu reisen, sich aber für die Erlebnisse anderer in der Welt interessieren. Menschen die gerne lesen, fernab von Geschlecht und Sujet.

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Diejenigen, die von Anfang an mitgelesen haben, wissen, dass ich ständig zwischen Texten im Präsens und in der Vergangenheitsform wechsle. Ich versuche das zu ändern. Präsens soll es sein. Präsens ist es immer. Hiermit ist es festgeschrieben. Für die Ewigkeit festgelegt. (Nicht zum ersten Mal. Kunst ist schließlich Scheitern.)

*Falls euch die Texte gefallen, unterstützt mich auf Patreon!*

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Comments: 6
  • #1

    yvokiwi (Saturday, 24 February 2018 20:04)

    Schönes Scheitern. Weiter so!

  • #2

    Bella (Sunday, 25 February 2018 07:56)

    Danke! :-*

  • #3

    Horst (Sunday, 25 February 2018 15:01)

    Schön, dass wir uns begegnet sind.
    Buen Camino.

  • #4

    Bella (Sunday, 25 February 2018 15:05)

    Lieber Horst, da bin ich ganz deiner Meinung. :-) Gracias

  • #5

    Kathi (Monday, 19 March 2018 23:48)

    Liebe Bella,
    ich möchte den Satz: "Ich werde so oft scheitern, bis andere glauben, ich würde gewinnen." gerne in großen Buchstaben an meine Zimmerwand schreiben! Auf jeden Fall aber werde ich ihn auf eine Karte schreiben und an die Wand kleben! Großartig!
    Also ich sehe deine Texte und Bilder ja immer noch kombiniert in einem schönen Bildband veröffentlicht in einem kleinen, feinen Independent-Verlag und dann kommst du zu uns ins Literaturhaus und erzählst von deiner Reise. Gerne auch im von mir betreuten Jugendprogramm :) Ich drücke dich!

  • #6

    Bella (Tuesday, 20 March 2018 04:46)

    Oh, liebe Kathi! Wie schön das wäre. :-)
    Schick mir ein Foto vom Schriftzug!
    Gruß & Kuss