ŚWINOUJŚCIE

English text
Windmühle am äußersten Zipfel des Strandes in Swinouscie.

Zum ersten Mal auf dieser Reise, direkt zu Beginn, realisiere ich, dass man sich Sachen vornimmt und sie dann realisiert. Ich hatte einen Traum, plante ihn und jetzt lebe ich ihn. Ich musste ein Lachen zurückhalten, als ich am Seebad Ahlbeck am Strand ankam. Wie bei so vielen anderen Menschen stieg die Euphorie in mir auf, als ich das Meer hinter der Düne entdeckte. Der weiße Ostseestrand und die drachensteigenden Kinder in gelben Regenmänteln waren wie aus einem Bilderbuch. Ein nicht abbrechender Strom von deutschen Rentnern wandelte in der Brandung und die Möwen schrien. Der Sand war göttlich weiß und warm.

Der Ahlbecker Strand.

Ich war die Einzige mit einem Backpack auf dem Rücken und einem Daypack vor dem Bauch. Ich lief ein paar Schritte und bleib immer wieder stehen. Es sollten 5 Kilometer sein bis Swinemünde, oder Świnoujście wie man in Polen sagt. Die Grenze war auf Googlemaps deutlich eingezeichnet, vor Ort war sie nicht sichtbar. Ich lief und lief, blieb ab und zu stehen und fotografierte die Wellen, die Möwen und den Himmel. Für 5 Kilometer brauchte ich nicht wie Googlemaps behauptet hatte eine Stunde, sondern fast drei. Ich schob es auf den Sand und das Fotografieren. Mein Körper, gänzlich untrainiert, kam so ganz natürlich zu seinen Pausen. Ich futterte Bananen und trank das mitgebrachte Wasser. Der Wind und das Meer brachten eine unglaubliche Ruhe mit sich. Die Nervosität des ersten Reisetags, den ich alleine bestritt, legte sich und bald hörte ich schon die ersten polnischen Wortfetzen. Ich war im hier und jetzt angekommen.

Obwohl es keine Grenze mehr gab, hörte ich hinter ihr fast ausschließlich Polnisch. Grenzen im Kopf sind so viel mächtiger als ein tatsächlicher Grenzpfahl. Auf polnischer Seite waren die Dünen durch einen Zaun geschützt, dahinter erstreckt sich ein Wald. Sonst sah alles genau gleich aus. In Świnoujście würde ich Campen. Es war ein kleiner Ort voller Luxushotels und armer deutscher Touristen. Es war schön dort. Die Einheimischen hatten die Schnauze voll von nicht polnisch sprechenden Eindringlingen und machten das deutlich. Bei den Touristen, denen ich hier begegnet war, kann ich Ihnen das kaum verübeln. Zum Zeltaufbau brauchte ich nur 15 Minuten, dann war in Kürze mein Bett gemacht. Dem mitgebrachten und super schweren Campingkocher ging in kürzester Zeit das Gas aus. Statt der mitgebrachten Nudeln gab es wieder eine Banane, dann ging es ins Bett. Die Nacht war kalt. Ich war tief eingemummt in meinem Schlafsack und balancierte im Schlaf auf meiner superschmalen Luftmatratze. Draußen war es nasskalt und in meinem Kokon schön warm und trocken. Ich war unglaublich froh darüber, dass wenigstens die Schlafentscheidungen richtig waren. Ich hatte das richtige Zelt, die richtige Luftmatratze und den richtigen Schlafsack. Ich war glücklich.

Meine erste Nacht im Zelt.

Am nächsten Morgen brach ich in die Stadt auf. Dort sah ich zum ersten Mal liebevoll gepflegte Hochhäuser und mit Stil bewohnte Wohnkomplexe, deren Pendants in Deutschland traurige Assifallen sind. Überall begegnete mir deutsch-polnische Geschichte. Die wenigen alten Gebäude, die es hier gab, waren wunderschön und oft heruntergekommen. Ich erkundete die Stadt und den Weg zum Bahnhof. Morgen sollte es weiter gehen nach Danzig, oder Gdansk. Mal wieder stand ich auf einer Fähre, tuckerte vorbei an riesigen grauen Kriegsschiffen und beobachtete die Menschen. Die Überfahrt war kostenlos und ich erinnerte mich an etwas, was ich in Kiel gehört hatte: Fähren über künstliche Gewässer sind immer kostenlos. Eine Regelung der ich hier an der Küste noch öfter begegnen werde.

Die deutschen Touristen erkannte man sofort. Die jungen Polen folgten den selben meist amerikanischen Moden wie die jungen Deutschen auch, jedoch hatten sie eine ganz eigene Interpretation. Ich sah einige junge Männer im Anzug, mit schönen Lederschuhen und einem Undercut, den man in Deutschland vorwiegend bei Studenten oder Alternativen sieht. Manchmal hatten sie ein Kind an der Hand, einige trugen schöne Bärte. Dieser Stil hat etwas von Wikingern an sich. Das ganze wirkt sehr männlich und gleichzeitig irgendwie stylish-feminin. Mich brachte es zum schmunzeln, da ich die Bilder kannte denen sie nacheifern, jedoch der Effekt in deutschen Kleiderschränken ein anderer ist.

Auf dem Rückweg lief ich an der Küste entlang, sah einige historische Befestigungsanlagen und Weltkriegsmemorabilia en masse. Die Schönste war die Fort Aniola, ein von Künstlern betriebenes Museum mit Café im Hof. Auf dem Dach befand sich ein kleiner Rosengarten, in dem ich eine gute Stunde fast alleine die Herbstsonne genoss und mein mitgebrachtes Wasser trank. Ab und zu drangen stimmungsvolle Musikfetzen aus der Anlage aus dem Hof empor. Es war perfekt hier oben.

Als ich weiterlief entschloss ich mich für die Umrundung entlang des letzten Stücks noch zu erkundeten Strands. Ich fiel ein bisschen auf, als junge Frau so ganz alleine. Einige ältere Herrschaften warfen mir mitleidige Blicke zu während ich, die Sonne genießend in eine weitere Banane biss und eifrig Fotos von den umliegenden Wahrzeichen machte. Die Fischer neben mir angelten, bis sie einen eher kleinen Fisch am Haken hatten, entschuppten ihn und zogen dann wieder ab. Das hatte etwas sehr genügsames und routiniertes an sich, konnte ich mir doch nicht vorstellen, dass das für ein Mittagessen reichen würde.

Die von Fischern zurückgelassenen Schuppen eines Fisches.

Als die Sonne unterging und es langsam kühl wurde, ging ich nochmal kurz zu meinem Zelt, checkte die Lage und begab mich dann in ein kleines Restaurant um zum ersten Mal auf dieser Reise alleine essen zu gehen. Da ich seit vorgestern Abend keine warme Mahlzeit mehr hatte reicht mir ein kleines vorzügliches Gulasch mit einem ordentlichen Humpen Bier. Es stellt sich heraus, dass dies ein Mix war, der mich glücklich machte. Zu meiner Erleichterung war ich umgeben von schweigenden Pärchen. Mein Alleinsein fiel zwar auf, jedoch nicht weiter ins Gewicht. Die Stille an den Tischen war lähmend und die Kellner etwas verbissen. Nachdem ich gezahlt hatte, ging ich weiter an den Strand, setzte meine überdimensionierten Kopfhörer auf und hörte laut Musik. Weit davon entfernt perfekt zu sein, war die Situation jedoch schon mal ziemlich gut.

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Comments: 2
  • #1

    Kathi (Saturday, 29 October 2016 20:16)

    Meine Liebe, ich fiebere immer schon deinen neuen Reisebeschreibungen entgegen :)

  • #2

    Bella (Sunday, 30 October 2016)

    Danke Kathi! Das freut mich sehr! :)