In Georgien setzte ich mich in eine Mashrutka nach Jerewan und drei Stunden später steige ich in Alaverdi aus. Alaverdi ist eine kleine Stadt im Norden Armeniens. Sobald ich aus dem Bus aussteige, merke ich, das hier ein anderer Wind weht. Alle schauen mich an und in kürzester Zeit haben mich vier der ungefähr zehn Taxifahrer am Platz gefragt, wo ich hin will. Ich wimmle sie ab, tausche Geld, kaufe Obst und gehe in einen Handyladen. Dort treffe ich auf eine (der insgesamt vier) Armenierin in dieser Stadt, die perfektes Deutsch spricht. Sie versorgt mich mit der richtigen Simkarte und gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. Wieder auf dem Hauptplatz, stürzen sich die Taxifahrer erneut auf mich. Für sie ist es ungeheuerlich, dass ich Bus fahren möchte, kein Taxi. Schließlich bin ich Europäerin und damit ist es meine Pflicht so viel Geld wie möglich auszugeben. Zu Beginn habe ich die Angebote noch freundlich lächelnd abgewiesen, doch nun setze ich eine entschlossene Miene auf und starre den Männern unfreundlich ins Gesicht. Ich ignoriere sie schließlich einfach. Ich habe keine Lust mehr, freundlich zu sein.
Alaverdi ist nicht eigentlich schön, es ist nicht groß, es ist nicht praktisch, aber wenn man in die richtigen Ecken kommt, kann es sehr gemütlich sein. Es ist eine Stadt, die zwischen den Bergen hängt und so schnell gewachsen ist (einst war hier die größte Kupfermine der Sowjetunion), dass Teile der Stadt mit erheblichem Höhenunterschied auf unterschiedlichen Seiten des Flusses liegen.
Einer lapidaren Wegbeschreibung im Internet folgend schaffe ich es bis zum ersten hier ansässigen UNESCO Weltkulturerbe, dem Sanahin Klosterklomplex. Es ist das Schönste, was ich bisher gesehen habe. In Georgien hatte ich bereits angefangen gelangweilt den Kirchen und Klöstern aus dem Weg zu gehen, denn die unzähligen Ikonen und das ganze Drumherum wirkten auf mich anfänglich wie Zauberei aber letzendlich erschlagend. In Armenien sind die Kirchen ungeschmückte und massive Bauten. Nichts steht dem monumentalen Gefühl eines solchen Raumes entgegen. Alles ist groß, massiv und dunkel, dramatische Löcher in den Kuppeln oder kleine Fenster setzen Lichtakzente im Raum und der Boden besteht aus unzähligen Gräbern. Der Glaube steht hier ganz wörtlich auf den Schultern der Vorväter. Könige, hohe Herren und Glaubensführer dienen ihren Gemeinden über ihr Leben hinaus. Etwas, das sich durch alle Bereiche des Klosters durchzieht. Ob in der Kirche, in der Universität, im Lagerraum oder auf dem Vorplatz: die Gräber sind das Fundament.
Einige Tage zuvor hatte ich über Couchsurfing eine Europäische Freiwillige angeschrieben und da sie gerade selbst zwischen Wohnsituationen war, konnten wir uns „nur“ auf einen Kaffee verabreden. Da ich mich nicht sicher fühlte alleine in meinem Zelt so nah bei anderen Behausungen zu nächtigen, machte ich mich auf die Suche nach einem Hostel. Obwohl ich einige interessante Möglichkeiten im Internet entdeckte, konnte ich auf der Straße keine Hinweise finden. Die ach so hilfreichen Taxifahrer wollten mich allesamt zum teuersten AirBnB vor Ort bringen und ich musste ziemlich unfreundlich werden, bevor man mich auch in der oberen Hälfte der Stadt zufrieden ließ. Ich wartete also auf R., die einen Freund anrief und innerhalb von kürzester Zeit, saß ich in dem Hostel, welches ich online herausgesucht hatte. Hier ist man Individualtouristen nicht gewöhnt und allein reisende Frauen schon gar nicht.
Am nächsten Morgen bringt mich mein Gastgeber mit dem Auto zu einem kleinen Englischzentrum. Dort wird ein Projekt betrieben in dem junge Menschen zu Touristenführern ausgebildet werden. Wenn man ein lokales AirBnB gebucht hat, bekommt man die erste Führung umsonst. Da ich schon früh da bin (mein Gastgeber ist um 9 Uhr zur Arbeit gefahren) komme ich in den Genuss einer vertraulichen Auseinandersetzung mit den schon so früh anwesenden jungen Frauen. Hier komme ich zum ersten mal in den Genuss von armenisch weiblicher Gastfreundschaft. Sehr schnell fühle ich mich wie zu Hause. Auf Augenhöhe tauschen wir uns aus über unsere Leben und die von uns gesetzten Prioritäten. Etwas frotzelnd bemerken wir, was uns verbindet: wir sind unverheiratet, über 25, kinderlos und gebildet. Keine von uns versucht diese Lebensumstände aktiv zu ändern. Obwohl wir aus so unterschiedlichen Gesellschaften kommen kämpfen wir gegen dieselben Strukturen. Der einzige Unterschied ist, dass der Preis den die Armenierinnen zahlen müssen im Zweifel höher ist, als meiner.
Überall wo ich hinkomme, wird mir von der Mafia erzählt. Es gibt sie hier wohl für alle Bevölkerungsgruppen: die Taxifahrer, die Maschrutkafahrer, die Businessleute. Es sei die Plage Armeniens wird mir erzählt. Ich fühle von dieser Mafia wenig, aber die Spuren sehe ich. Die Seilbahn die vom Tal hinauf auf den Berg führt, wird aus unerfindlichen Gründen nicht mehr betrieben. Auf der anderen Seite des Hanges dampft ein Berg. Bei schlechtem Wetter sieht diese Mine aus wie Mordor. Bei gutem Wetter, wenn der Schornstein von einem Felsvorsprung verdeckt ist, wirkt es so als würde ein Vulkan über der Stadt brodeln. Dieser Schornstein ist der Grund dafür, dass die Krankheits- und Sterberate der Bevölkerung 16mal so hoch ist wie überall woanders in Armenien. Einen Filter verwendet man hier so wenig, wie den Anschnallgurt beim Autofahren. Die Abgase der Mine werden ungefiltert in die ansonsten reine Bergluft geschossen. Unablässig dampft der Schlot.
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