ALLEINE GEHT ES HALT DOCH NICHT

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Rosen gehen immer, Indien

Ursprünglich wollte ich meine Zeit in Indien in einem Ashram verbringen, Yoga machen und zu mir selbst finden. Ich wollte Indien erleben, wie es verkauft wird. Mein ganz persönliches „Eat, Pray, Love“ realisieren. Aber wie immer kommt alles anders. Dank J. und ihrer Familie begegne ich einem Indien, das tief verankert ist im Hier und Jetzt. Einer Kultur, die so anders und doch so ähnlich ist wie die meine. Ähnlich wie zu Hause ist meine Situation in Indien privilegiert. Ich merke schnell, dass was mir merkwürdig erscheint, hier Normalität ist. Es bleibt für mich zum Beispiel merkwürdig die Arbeitszeit eines anderen Menschen zur Verfügung gestellt zu bekommen. Hier ist das normal. Die Haushalte, die ich besuche, haben alle einen oder mehrere Hausmanager. Manchmal ist es die Aufgabe einer ganzen Familie, sich um die Belange einer anderen zu kümmern. Ich gewöhne mich schnell daran, ertappe mich jedoch dabei, einige Sachen nicht aus der Hand geben zu wollen. Also verschiebe ich sie auf die Abendstunden, um in aller Ruhe meinen Reinigungs- und Flickaufgaben nachzukommen. Was uns Europäern als prekäres Lebensverhältnis vorkommt, ist hier ein begehrenswerter Beruf. Wie immer ist das Spektrum zwischen Arm und Reich unfassbar viel größer, als wir uns das vorstellen können.

***

Ohne A. hätte ich in Indien nicht zur Ruhe finden können. Das wäre für mich ein großes Problem gewesen. Denn obwohl ich weit gekommen bin, habe ich gerade einmal das erste Viertel meiner Reise um die Welt bewältigt. Jetzt bin ich so erschöpft und meine sonst so stahlharten Nerven sind aufgerieben. Ich überlege häufig einfach heimzufliegen. Aber zu stark ist der Wunsch es zu schaffen, weiter zu entdecken, am Ende doch anzukommen. Nach einigen Tagen des Grübelns über mein Budget, die Reiseroute und einer langatmigen Korrespondenz mit einem chinesischen Reiseunternehmen, komme ich nicht umhin mir einzugestehen, dass das alleine Reisen um die Welt mir nicht möglich ist. Ich werde mich nicht langfristig mit jemandem zusammentun, eher würde ich nach Hause fliegen. Aber Hilfe muss ich annehmen. Ohne Hilfe geht es nicht. Sie hat viele Gesichter. Es sind die Freunde, die sich trotz meiner wechselnden WhatsApp Nummern (Anfängerfehler. Ich weiß.) immer wieder bei mir melden und sicherstellen, dass der sporadische Kontakt lebendig bleibt. Freunde, die ähnlich wie ich um die Welt reisen, mir Tipps senden und Kontakte herstellen oder wie gerade in Indien, mir ihr gesamtes Netzwerk zur Verfügung stellen. Eine Hilfe, die kein Äquivalent kennt und nicht zurückgegeben werden kann. Es gibt keine Form des Dankes, die dem genügen kann.

Und dann gibt es da noch meine Eltern, die ohne mit der Wimper zu zucken einen Batzen Geld überweisen und meine Argumentation, warum in Indien zu arbeiten nicht zielführend wäre, einfach hinnehmen und mich in meiner Entscheidung unterstützen, die wohl teuerste Route über Tibet und China nach Laos zu nehmen. (Heute weiß ich das es die günstigere Variante ist.) Ich wollte alles selber machen, alles selber finanzieren, selber organisieren, auf ganz eigenen Beinen stehen. Obwohl für mich feststeht, dass ich jeden Cent zurückzahlen werde, ist dies weniger wegen meiner Eltern, als wegen mir. Ich möchte mir diese Reise nicht aus der Hand nehmen lassen. Ich will selber verantwortlich sein und nicht auf Kosten meiner Eltern einen globalen Lebensstil finanzieren. Gerade ist es jedoch genau das, was ich tun werde. Hilfe hat viele Gesichter. Viele Fassetten. Diese Reise ist anstrengender und komplexer als ich mir es je hätte träumen lassen. Nachdem ich knapp 30.000 Kilometer um die Welt gereist bin, ist nur eines klarer als Klöschenbrühe: Alleine geht es halt doch nicht.

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