Am Sewan See bleibe ich genau vier Stunden. Dann beschließe ich entgegen meines ursprünglichen Planes weiterzuziehen. Eigentlich wollte ich hier zwei Nächte wild campen, den spektakulären Sonnenauf und -untergang an diesem einmaligen Ort auskosten, mir Zeit nehmen und durchatmen. Wie in Georgien. In Armenien soll das problemlos gehen, aber ich fühle mich nicht sicher. Dauernd wird mir durch das Gehupe fremder Männer deutlich gemacht, dass ich gesehen werde. Ständig will mir jemand „helfen“ und was für reisende Männer und Pärchen unter dem Begriff „Gastfreundschaft“ oder „Hilfe“ läuft, wird bei allein reisenden Frauen ganz schnell zur Belästigung. Jeder Kontakt fängt gastfreundlich an, das ist hier einfach so, aber zu oft mündet dieser in unangenehmen Diskussionen und Beleidigungen.
Als ich beschließe doch weiter nach Jerewan zu ziehen und versuche, einen Platz in einer Marshrutka zu bekommen, habe ich Pech. Somit laufe ich sieben Kilometer ins nächste Städtchen (natürlich in der Mittagssonne, entlang einer viel befahrenen Straße), ignoriere und wimmle die ganzen Autos ab, die mir anbieten, mich mitzunehmen und zahle den Preis in Form von Schweißtropfen. Kurz bevor ich ankomme in Sewan City, hält ein neuer weißer Sprinter neben mir. „Where are you going? Can we bring you somewhere?“ in Windeseile überfliege ich den Anbieter. Er ist nicht jung, aber auch nicht alt. Bestimmt verheiratet mit Kind (und noch nicht gelangweilt von seiner Frau), neben ihm sitzt sein Fahrer, ein alter Mann (bestimmt gelangweilt von seiner Frau). Außerdem spricht er English. Ein großer Pluspunkt. Er weiß wie das mit den europäischen Frauen funktioniert. Ich zögere und sage schließlich, dass ich in Sewan zum Bus möchte. Er nickt und macht die Tür auf. Den Rucksack werfe ich auf die Ladefläche zu einer Ansammlung von alkoholischen Getränken und begebe mich auf den dritten Platz zwischen den beiden Männern.
Natürlich fragen sie mich, wo ich hin will und nehmen mich schließlich mit nach Jerewan. Was folgt ist eine fröhliche, entspannt und informative Fahrt in die Hauptstadt. Ich werde zur Hochzeit des Sohnes eines Freundes eingeladen (eine Einladung auf die ich nicht weiter eingehe), und genau an dem Ort rausgelassen, wo ich rausgelassen werden möchte. Ich habe den jüngeren Armenier offensichtlich richtig eingeschätzt. (Eine Seltenheit in Armenien, da man im Auto eines fremden Menschen in dessen Obhut und Verantwortung ist. Als Ausländer wird man hier am liebsten direkt in die Verantwortung eines anderen Menschen übergeben, vor allem als allein reisende Frau. Ein Umstand der mir total gegen den Strich geht.)
Und somit bin ich zwei Tage früher als geplant in der pinken Stadt. Den Sewansee muss ich in meinen Akten mit „nochmal hinfahren“ weglegen. Das nächste Mal komme ich mit Auto und männlicher Begleitung, dann ist es sicherlich traumhaft. Erstmal stelle ich mich darauf ein, dass es hier in Armenien genau anders herum sein wird, wie in allen anderen bisherigen Ländern. Die Stadt wird hier für mich das Highlight. Sie ist nicht zu groß, nicht zu laut, nicht zu freundlich und nicht zu interessiert an europäischen Ausländern. Aber mehr dazu beim nächsten Mal.
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